Wegen Frankreich

NEUES AFRIKANISCHES KINO Der New Yorker Filmwissenschaftler Manthia Diawara präsentierte im Haus der Kulturen der Welt eine sehr persönliche Analyse des afrikanischen Filmschaffens und seiner wichtigsten Regisseure

Diwaras Buch erzählt seine Geschichte aus der Ich-Perspektive

VON ANDREAS RESCH

In seinem Vorwort zu Manthia Diawaras Buch „Neues Afrikanisches Kino“ erinnert sich Bernd Scherer, Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, wie vor einigen Jahren eine Frau nach einer Filmvorführung von „Faro – La reine des eaux“ des aus Burkina Faso stammenden Regisseurs Salif Traoré wütend das Wort ergriff.

Der Film sei eine Frechheit, nur dafür bestimmt, Afrika in ein schlechtes Licht zu rücken, sagte sie. Dabei bemerkte die Frau in ihrem Furor überhaupt nicht, dass gerade jener wohlmeinende Enthusiasmus, den sie da an den Tag legte, eine extrem folkloristische, klischeebehaftete Weltsicht offenbarte. Am Mittwoch stellte Manthia Diawara sein Buch im Haus der Kulturen der Welt vor und es ist davon auszugehen, dass besagter Dame ein Großteil der darin analysierten Filme aufgrund ihrer zum Teil harschen Gesellschaftskritik wohl ebenfalls nicht gefallen hätte.

Abwechslung vom Alltag

Gleich zu Beginn betonte der Dokumentarfilmer und Professor für Vergleichende Literatur- und Filmstudien an der New York University, wie viel Spaß ihm die Arbeit am Buch bereitet habe. Im Vorfeld habe er sich nämlich „ jede Menge Filme anschauen“ und sich im Anschluss mit vielen befreundeten Filmemachern treffen können. Gerade im Gegensatz zum eher zähen wissenschaftlichen Arbeiten sei das sehr angenehm gewesen.

Diawaras Buch, erschienen im Prestel Verlag, erzählt aus der Ich-Perspektive eine ganz persönliche Geschichte des jüngeren afrikanischen Kinos. Wobei man ergänzend hinzufügen muss, dass es sich weitgehend um eine des schwarzafrikanischen Kinos handelt, da Regisseure aus dem Maghreb beinahe komplett ausgespart werden.

Die im Buch und auf einer begleitenden DVD vorgestellten Filme decken dabei ein breites Spektrum des politischen afrikanischen Films ab: Newton Aduakas Kindersoldatendrama „Ezra“ etwa ist vertreten, Souleymane Cissés „Finyé – le vent“ oder „Daratt“ – Mahamat-Saleh Harouns in extremer narrativer Reduktion erzählte Geschichte um Schuld, Sühne und Vergebung. „Ich wache früh an diesem Morgen auf, unbeeindruckt von den Frustrationen des vergangenen Tages und der Nacht davor, als ich unter anderem wegen einer verspäteten Maschine einen ganzen Tag auf dem Flughafen von Dakar verschwendet hatte“.

So beginnt das erste Kapitel des Buches, in dem Diawara den etwas mühsamen Beginn einer Reise zum Filmfestival von Ouagadougou schildert, um anschließend in eine Reflexion über den Godfather des modernen afrikanischen Kinos, Ousmane Sembène, überzugehen, dessen filmische Ästhetik er in den Kontext der Third-Cinema-Bewegung einordnet.

Im Verlauf des Abends sprach Manthia Diawara über so verschiedene Dinge wie den Mimesis-Begriff von Erich Auerbach und die Einflüsse des französischen Films auf das afrikanische Kino: „Unser Kino existiert wegen Frankreich, gleichzeitig existiert es trotz Frankreich“, so sein leicht überspitzt formuliertes Urteil. Dieses spielte darauf an, dass viele afrikanische Filmemacher ihr Handwerk in Frankreich erlernt haben, gleichzeitig jedoch, wie es im Buch heißt, Frankreich sein Engagement für das afrikanische Kino „als kulturpolitisches Mittel nutzt, um die frankophone Hegemonie über Teile des Kontinents aufrechtzuerhalten“.

Für Erheiterung sorgte Diawaras Aussage, er habe sich beim Schreiben „in der Tradition von Roland Barthes, Walter Benjamin und Jürgen Habermas“ gesehen, um nach einer kurzen Pause hinzuzufügen, das mit Habermas könne man getrost vergessen, den habe er „eigentlich nie wirklich verstanden“. Aber dafür einmal während einer Konferenz auf der Toilette getroffen.

Freejazz statt Selbstmord

Im Anschluss wurde „Zulu Love Letter“ von Ramadan Suleman gezeigt, einer jener Filme, die auf der DVD vorgestellt werden. Sulemans Film beginnt mit schrillem Freejazz, der im Autoradio jener Johannesburger Journalistin läuft, die gerade einen Selbstmordversuch unternommen hat, und die im Anschluss darum ringt, jene quälenden Erinnerungen zu verarbeiten, die sie daran hindern, eine engere Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen.

Als man dann nach Filmschluss den Saal verließ und das Foyer betrat, wo auf einer Großleinwand das WM-Spiel zwischen Uruguay und Südafrika übertragen wurde, war er plötzlich: dieser Folklorismus in Reinform. In Gestalt dutzender dröhnender, vom Saalpublikum gespielter Vuvuzelas, deren infernalisches Tröten den Raum erfüllte.

■ Manthia Diwara: „Neues afrikanisches Kino. Ästhetik und Politik“. Prestel-Verlag München, 2010, 320 Seiten, 24,95 €