Die kleine Wortkunde

Vor 1989 war alles noch übersichtlich: Das gute Deutschland wurde von Bonn aus regiert, das böse Deutschland von Ostberlin, und wer auf dem Laufenden bleiben wollte, ging nicht ins Internet, sondern zum Kiosk. Genau dies taten die BRD-Politiker seit 1957 im legendären „Bundesbüdchen“ im Bonner Regierungsviertel: Parlamentarier wie Joschka Fischer, Wolfgang Clement oder Helmut Kohl kauften hier ihre Bockwurst, ihre Brötchen und ihre Bild. 2006 war der Laden geschlossen worden, nun kommt wieder Leben in die Bude: 2014 soll sie originalgetreu wiedereröffnen.

„Büdchen“ ist Kölsch für „Bude“ oder „Kiosk“. „Bude“ (kleiner Laden aus Brettern, heruntergekommenes Haus) stammt aus dem mittelhochdeutschen „boude“ und ist seit dem 13. Jahrhundert belegt.

Dass ausgerechnet eine piefige Verkaufsbude das Symbol der Bonner Republik war, verwundert zunächst – oder ruft sarkastische Zustimmung hervor. Doch für die Regierung war das Büdchen ein großer Gewinn. Hier konnte Volksnähe demonstriert werden, und das kölsche Diminutiv „Büdchen“ machte den Bonner Kiosk zusätzlich liebenswert.

Die Bude stellt ebenso den Bund zwischen eiligem Manager und Obdachlosen her wie zwischen Arbeiter und Student, denn seit dem 19. Jahrhundert ist „Bude“ die traditionelle Bezeichnung der studentischen Wohnung. Etwas Vergleichbares wie das „Bundesbüdchen“ gibt es im heutigen Berliner Regierungsviertel nicht. Aber andererseits: Wer will schon Angela Merkel beim Zigarettenholen begegnen? ERIK WENK