Die Kritik der Kritisierten an der Kritik

Die Franzosen müssen sich nach eigener Aussage vor dem Spiel gegen Südkorea nicht verändern, sondern verbessern

HAMELN taz ■ Wie üblich ist die Rattenfängerhalle gut gefüllt. Sie dient während der Weltmeisterschaft als Pressezentrum der französischen Mannschaft. Jeden Tag werden dort Spieler und manchmal auch Trainer Raymond Domenech der Hundertschaft französischer Pressevertreter vorgeführt. Sie haben es nicht leicht in diesen Tagen.

Denn in den französischen Zeitungen wird nach dem 0:0 gegen die Schweiz im Auftaktspiel eine heftige Systemdebatte geführt. Eine regelrechte Kampagne wurde gestartet mit dem Ziel von einem 4-2-3-1-System auf eine 4-3-1-2-Variante umzustellen. Zinedine Zidane würde dann neben Henry noch einen anderen Stürmer vor sich haben. Der große Wechsel soll vollzogen werden. Liliam Thuram und Patrick Vieira, zwei der verdienstvollen, aber in die Jahre gekommenen Spieler, stehen dabei besonders in der Kritik. Sie könnten einem Systemwechsel zum Opfer fallen.

Doch ob es den überhaupt geben wird, das steht noch nicht fest. Willy Sagnol wehrt alle Fragen zur Aufstellung für das Spiel gegen Südkorea ab. „Ich weiß nicht, wer spielen wird, ich weiß überhaupt nichts“, sagt er. Der sonst so meinungsstarke Franzose ist nicht sehr auskunftsfreudig am Tag vor der Abfahrt nach Leipzig. Er sieht seine Aufgabe eher darin, die Presse für ihre allzu kritische Haltung anzugreifen. Das macht er so lange, bis ein Journalist ganz grundsätzlich wird: „Glauben Sie, dass es ein Recht zu Kritik gibt?“, lautet seine Frage. „Ja“, sagt Sagnol. Dann macht er eine lange Pause und fährt fort: „Aber sie darf nicht destruktiv sein.“

Schließlich gibt er zu, dass es auch berechtigte Kritik gegeben habe. Dass die Franzosen gegen die Schweiz nicht getroffen haben, das dürfe man durchaus anprangern. Auch pflichtet er seinem Trainer bei, der tags zuvor gesagt hatte, der Mannschaft fehle es an der nötigen Kühnheit. Sie müsse sich befreien, dann werde es auch mit dem Toreschießen klappen. Vor allem bei der Spieleröffnung habe es gehapert, so Domenech und Sagnol. Ob er sich als Verteidiger da nicht selbst kritisiere, wird der Mann vom FC Bayern gefragt. „Das ist eine komische Frage“, sagt Sagnol, „es sind doch nicht nur die Verteidiger für die Abwehr verantwortlich.“ Ist das möglicherweise eine Kritik am Mittelfeld? Man darf es wohl so verstehen.

Ins Mittelfeld könnte am Sonntag der genesene Florent Malouda rücken. Auch der Mann, der in der Vorbereitung immer gespielt und vor allem bei Olympique Lyon in Meisterschaft und Champions League meistens überzeugt hatte, wird der Presse vorgeführt. „Ich hoffe schon, dass ich spiele“, flüstert er in das Mikrofon und wirkt dabei so schüchtern, als stünde er das erste Mal vor Journalisten. Tapfer wehrt auch er alle Fragen nach dem großen Systemwechsel ab. „Wir müssen uns nicht verändern, wir müssen uns verbessern.“ Auch Malouda spricht von berechtigter Kritik, die es gegeben habe. Wieder horchen alle Pressevertreter auf. „Wir müssen einfach Tore erzielen“, sagt der 26-Jährige, kichert ein wenig, schleicht sich von dannen – und hinterlässt eine ratlose Presseschar in der Rattenfängerhalle.

ANDREAS RÜTTENAUER