Mission erfüllt. Und was kommt jetzt?

ERFOLG Selten erreichen Bewegungen ihr Ziel so gründlich wie die, die gegen den Truppenübungsplatz Bombodrom kämpfte. Was wird nun aus den Aktivisten?

Die Geschichte: Seinen Spitznamen „Bombodrom“ bekam der Truppenübungsplatz in der brandenburgischen Kyritz-Ruppiner Heide, als die Sowjetarmee dort Kampfflieger üben ließ. Nach der Wende wollte die Bundeswehr dort einen Luft-Boden-Schießplatz errichten, was die Protestbewegung vereitelte. Im April 2010 verkündete das Verteidigungsministerium, das Areal nicht mehr militärisch nutzen zu wollen.

■ Die Bewegung: 100 Protestwanderungen und 27 gewonnene Verfahren: Anwohner und Friedensbewegte protestierten seit den Neunzigern gegen das Bombodrom. Ab 1994 klagten Bürger und die Initiative „Freie Heide“ gegen die militärische Nutzung.

VON SVENJA BERGT

Soziale Bewegungen sind normalerweise Bündnisse auf Zeit. Gegründet, um einen Missstand zu beseitigen. Und damit überflüssig, sobald der Missstand beseitigt ist. Das ist zumindest die Idee, auch wenn ein Ende der Bewegungen gegen Atomkraft, Hartz IV und Kapitalismus nicht wirklich absehbar ist.

„Eine soziale Bewegung“, so formuliert es Ansgar Klein, Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, „braucht zwei Dinge: ein Ziel und einen Gegner, gegen den mobilisiert wird.“ Doch was wird aus den Beteiligten einer Bewegung, wenn das Ziel erreicht ist, der Gegner nachgegeben hat?

In diesen Wochen ist ein solches seltenes Phänomen in der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs zu finden. Hier sollte einst, auf rund 14.000 Hektar Fläche, ein Luft-Boden-Schießplatz entstehen. Doch die Bewohner der Region setzten sich gegen die Pläne des Verteidigungsministeriums zur Wehr. Sie zogen auf Demonstrationen und vor Gericht, gewannen Prozesse und schufen mit Spenden eine Pfarrstelle für Friedensarbeit, die sich maßgeblich der Arbeit gegen das sogenannte Bombodrom widmete.

Erfolgreich, wie sich spätestens im April dieses Jahres zeigte. Nachdem schon im vergangenen Jahr der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärte, dass aus dem Gelände zwar kein Luft-Boden-Schießplatz wird, aber eine militärische Nutzung immer noch nicht vom Tisch war, gab das Ministerium im April bekannt: Es bestehe kein „anderweitiger militärischer Bedarf“ für das Gelände. So wurde mit drei Worten der knapp zwanzigjährige Kampf einer Bewegung mit Erfolg gekrönt. Und nun?

Reden statt wandern

Benedikt Schirge, der die Friedenspfarrstelle innehat, ist das Herz der Anti-Bombodrom-Bewegung. Oder muss man schon sagen: Er war es? Schirge überlegt einen Augenblick, wiegelt dann ab. Noch gebe es eine Menge zu tun. „Der Schwerpunkt unserer Arbeit hat sich in letzter Zeit verschoben. Er ist mehr in Richtung Gespräche gerückt, die Proteste werden weniger“, sagt er. Statt Protestwanderungen stehen verhandlungsintensive Nachmittage in Büros auf dem Programm. Dabei geht es um die Zukunft des Geländes. Die Aktivisten aus den Bürgerinitiativen Freie Heide und Pro Heide, die örtliche Unternehmer vertritt, sind sich weitgehend einig: Sie wollen ein möglichst naturbelassenes Gelände. Hier ein bisschen Holzwirtschaft, da ein bisschen Solartechnik, Wanderwege für Touristen und vielleicht die ein oder andere Schafherde, aber vor allem: viel Heide. An eine Auflösung denken die Initiativen erst einmal nicht.

„Auch ein Erfolg kann ein Verlust sein“, sagt der Sozialwissenschaftler Ansgar Klein. Zwar sei es nach einem erfolgreichen Kampf wahrscheinlicher, dass sich Leute weiterhin engagierten als nach einer Niederlage. „Aber wenn es weitergehen soll, ist eine neue Agenda der Mobilisierung erforderlich, und das kostet auch Kraft.“ Vor allem wenn das, wie im Fall Bombodrom, mit einer thematischen Verschiebung einhergehe: von der Friedenspolitik zu den umweltpolitischen Aspekten der Nachnutzung der Fläche.

„Wer einmal dabei ist, der erweitert dann häufig seinen Horizont“

BEWEGUNGSFORSCHER DIETER RUCHT
Wach für andere Themen

Auch Dieter Rucht, Bewegungsforscher an der Freien Universität Berlin, hält es für typisch, dass die Aktivisten trotz ihres Erfolges nicht die Hände in den Schoß legen. „Gerade bei einem starken regionalen Engagement gibt es so etwas wie einen generellen Mobilisierungsschub“, sagt Rucht. Das könne durchaus einen Wechsel im Engagement zur Folge haben: Wer erst nur gegen ein geplantes Atomkraftwerk vor seiner Haustür gekämpft und es erfolgreich verhindert habe, bringe sich danach vielleicht in die Gleichberechtigungsdebatte ein, weil er während der Protestarbeit gemerkt hat, dass hier Nachholbedarf besteht. „Wer einmal dabei ist, der erweitert dann häufig seinen Horizont“, sagt Rucht. Und: „Das erste Thema führt zu einer Wachheit für andere Themen.“

Ein weiterer wichtiger Faktor: das Netzwerk. „Das Netzwerk der Aktiven bleibt üblicherweise noch eine Zeit lang erhalten und ermöglicht bei Bedarf eine kurzfristige Mobilisierung“, sagt Klein. Die Anti-Bombodrom-Aktivisten versuchen, ihr Netzwerk auch ganz aktiv zu erhalten: Mit Versammlungen, mit Konzerten, mit einer Feier zum einjährigen Verzicht auf den Luft-Boden-Schießplatz am 9. Juli. Auch wenn die Kontakte laut Schirge nicht mehr so häufig und intensiv sind wie noch in den Jahren der Arbeit gegen das Bombodrom. „Ich denke, manch einer ist froh, dass es wieder etwas mehr Luft gibt, und manch anderer schaut, wofür er noch Kräfte aufbringen kann“, sagt er.

Kraft auch für Schritte, auf die vor einem Jahr kaum einer zu hoffen wagte: eine Öffnung des Geländes für die Bevölkerung etwa. Doch wann es es die geben wird, ist noch unklar. Schließlich liegt einiges an alter Munition im Heideboden, und die zu entfernen kostet mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag. „Die Räumung“, so sieht es Schirge, „wird noch einmal ein schwieriger Prozess werden.“