Ein bisschen Walfang?

GIGANTEN Seit 25 Jahren dürfen Wale nicht mehr gejagt werden. Offiziell. Denn weder Japan noch Norwegen halten sich daran. Darum wird jetzt diskutiert, das Verbot aufzuweichen

 Der Termin: Vom 21. bis 25. Juni trifft sich die International Whaling Commission (IWC) zu ihrer 62. Jahresversammlung. Vertreter aus 88 Mitgliedsländern werden dafür ins marokkanische Agadir reisen.

 Worum geht’s: Ganz oben auf der Agenda steht das alljährliche Tauziehen zwischen Walfangnationen und Ländern, die diese Jagd möglichst ganz verbieten wollen. In diesem Jahr liegt ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch: Das Walfangmoratorium gilt formal weiter, gleichzeitig sollen die Walfangnationen Japan, Norwegen und Island Ausnahmegenehmigungen für kommerziellen Walfang bekommen.

VON REINHARD WOLFF

Plötzlich bricht ein blaugrauer Rücken durch die Meeresoberfläche. Gleich danach steigt eine Wasserdampffontäne mit einem gewaltigen Zischen 10 Meter hoch in die Luft. Es ist nicht leise, wenn die größten Lungen der Welt ausatmen. 200 Tonnen schwer ist er, groß wie ein Jumbojet. Im Herz hätte ein Auto Platz, allein seine Zunge ist schwerer als ein ausgewachsener Elefant: der Blauwal. Das größte bekannte Tier, das je auf der Erde gelebt hat.

Auf 220.000 Exemplare wurde der Blauwal-Bestand 1920 geschätzt. Vierzig Jahre später und nach einem rücksichtslosen Massenschlachten, das zu einem der dunklen Kapitel unserer Zivilisation gehört, waren davon nur noch 1.000 übrig. Jetzt sollen es wieder über 10.000 sein.

Über den Schutz des Blauwals muss nicht mehr gestritten werden, wenn sich die Internationale Walfangkommission IWC kommende Woche in Agadir trifft. Dafür steht ein Thema auf der Tagesordnung, das bislang als Tabu galt: die Aufweichung des seit 1986 geltenden generellen Walfangverbots. Der Vorschlag der IWC-Präsidentschaft: Das Walfangmoratorium soll zwar formal weiter gelten. Gleichzeitig erhalten die Walfangnationen Japan, Norwegen und Island, die trotz des Verbots jährlich über 2.000 Wale jagen, über einen Zeitraum von zehn Jahren Ausnahmegenehmigungen für kommerziellen Walfang. Mit Quoten, die der IWC festsetzt, überwacht und auch jährlich absenkt.

Für Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen wäre dies der Sündenfall. Gilt doch das Walfangmoratorium als eine der umweltpolitischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahrzehnte. Jährlich rufen sich die WalschützerInnen in Erinnerung, wenn sie sich mit der japanischen Fangflotte in der Antarktis ein Katz-und-Maus-Spiel liefern. In der militanten Phase des Kampfes gegen den norwegischen Walfang in den neunziger Jahren hatte man auch schon mal gegenseitig die Boote gerammt, sogar das eine oder andere Walfangschiff versenkt. Alles nur, damit die Länder, die sich trotz aller Proteste und Boykottaktionen nie an das Moratorium gehalten haben, dafür jetzt auch noch mit einer legalen Fangquote belohnt werden?

Als das Walfangmoratorium 1982 auf der IWC-Jahrestagung in Brighton beschlossen wurde, war es nicht als Dauerzustand gedacht. Sondern nur als eine vorübergehende Fangpause, bis sich die Bestände wieder so weit erholen konnten, dass sie erneut gejagt werden können. Die IWC war 1946 nicht zum Walschutz, sondern „zur wirksamen Erhaltung und Erschließung der Walbestände“ gegründet worden. Und ihre Geschichte war schon immer geprägt von der Missachtung ihrer Verbote: Unter dem „Schutz“ der IWC wurden in den 40 Jahren bis zum Inkrafttreten des Moratoriums 1,7 Millionen Großwale getötet.

In den 25 Jahren seither sind es mit 30.000 zwar deutlich weniger. Aber sieht so ein wirksames Moratorium aus? Genehmigte Quoten und ein realistisches Ausstiegsszenario wären besser als dieses schlechte Moratorium, meinen mittlerweile auch Staaten, die gegen den Walfang sind. Schweden etwa, das grundsätzlich die Kompromisslinie des IWC-Präsidiums befürwortet – wenn auch nicht alle Details des jetzigen Vorschlags.

Die Kompromiss-Suchenden werden es nicht nur bei den Walfangnationen schwerhaben, die sich ihr bisheriges Selbstbestimmungsrecht nicht nehmen lassen wollen. Sie werden vor allem bei den Walschutz-Hardlinern auf Granit beißen – denn denen geht es weniger um wissenschaftliche und ökologische Argumente. Sie meinen, Wale sollten aus ethischen Gründen überhaupt nicht mehr getötet werden.

Sollte die kontrollierte Reduzierung der Fangquoten nicht eine Chance bekommen?

Dies ist eine Haltung, für die man angesichts der grausamen Jagdmethode durchaus Verständnis haben kann. Seit den 1940er Jahren, als der Schiffsarzt Harry R. Lillie seine Erlebnisse auf einem Walfangboot schilderte, hat sich in der Fangpraxis kaum etwas geändert. Er schrieb darin: „Wenn wir uns vorstellen, dass ein Pferd zwei oder drei explodierende Speere in seinem Bauch stecken hat und dann, langsam verendend, einen Wagen durch die Straßen zieht, sodass das Blut auf das Pflaster rinnt, können wir uns vorstellen, wie die Methode des Walfangs aussieht.“

„Es kann nur eine Quote geben: null“, sagt John Frizell, internationaler Koordinator der Anti-Walfang-Kampagne von Greenpeace. Unter Geltung des derzeitigen „Moratoriums“ werden im Schnitt täglich sechs Großwale harpuniert, trotz Kampagnen, Boykottaufrufen oder Verboten.

Sollte also das Modell einer kontrollierten Reduzierung der Fangquoten bis hin zur Abwicklung der Walfangwirtschaft nicht eine Chance bekommen? Zumal das Überleben der Wale nicht vom jetzigen Walfang, sondern von der wachsenden Verschmutzung der Meere und dem Klimawandel bedroht ist? Auf diese Themen könnte die IWC ihre ganze Kraft konzentrieren. Statt wie bisher auf fruchtlose Verhandlungsrituale.

In Agadir wird es für einen solchen Schritt aber wohl noch zu früh sein.