„Für eine Intervention fehlt die Rechtsgrundlage“

RUSSLAND Moskauer Außenpolitikexperte Lukjanow zur russischen Reaktion auf die Krise in Kirgisien

■ 43, Chefredakteur von Moskaus führender Außenpolitikzeitschrift Russia in Global Affairs, die in Kooperation mit dem US-Blatt Foreign Affairs publiziert wird.

taz: Warum schickt Russland trotz Bitte der Übergangsregierung keine Truppen nach Kirgisien?

Fjodor Lukjanow: Es ist nicht klar, was russische Truppen dort sollen. Vor allem fehlt für ein militärisches Eingreifen die rechtliche Grundlage. Die kirgisische Regierung ist de jure nicht legitimiert. Eine Intervention im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) entspricht auch nicht deren Aufgaben. Sie wurde nicht gegründet, um in Mitgliedsstaaten für Ordnung zu sorgen. Es wäre so, als wenn die Nato 1972 in Nordirland eingegriffen hätte.

Hängt Russlands Haltung auch mit Usbekistans und Kasachstans Vorbehalten zusammen?

Usbekistan ist an einer Regulierung des Konflikts interessiert, fürchtet aber mit Kasachstan, den Präzedenzfall einer Intervention in innere Angelegenheiten zu schaffen.

Zeigt sich in Kirgisien eine geopolitische Verschiebung?

Statt militärisch hätte sich Russland politisch aktiver einschalten müssen, was auch alle erwartet hatten. Niemand will die Last der Verantwortung in der Region übernehmen, auch China nicht. Auch die USA schwiegen bis Anfang der Woche. Inzwischen klingt es merkwürdig, wenn Russland von einer Zone „privilegierter Interessen“ spricht. Wenn Moskau mit Herausforderungen wie Kirgisien nicht umgehen kann, klingen alle späteren Ansprüche auf eine besondere Rolle in der Region unglaubwürdig.

Wäre Russlands Armee überhaupt zur Friedenssicherung in der Lage?

Wir haben dafür keine speziell ausgebildeten Friedenstruppen. Die „Sicherung des Friedens“ in Tschetschenien oder 2008 in Südossetien ist mit Kirgisien nicht zu vergleichen.

Böte Kirgisien nicht eine Chance, durch einen gemeinsamen Einsatz von US- und russischen Truppen die Kooperation zu verstärken und das Misstrauen abzubauen?

Ich glaube, Obama hat genug andere Probleme. Im Stillen hofften alle, Russland würde sich der Sache annehmen. INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH