„Man wollte unsere Schule nicht“

Nach Streit um ihr Konzept sind die Kuratoren der 6. Manifesta entlassen worden. Damit findet die Biennale für europäische Kunst im September nicht in Zypern statt. Ein Gespräch mit Florian Waldvogel, der bislang dem Kuratoren-Team angehörte

INTERVIEW HORTENSE PISANO

taz: Herr Waldvogel, am 1. Juni hat die in Zypern für die Koordination der 6. Manifesta zuständige Organisation „Nicosia for Art“ (NfA) Ihnen die Verträge gekündigt. Weshalb?

Florian Waldvogel: Der Konflikt hat sich seit längerem abgezeichnet und eskalierte, nachdem die vereinbarte Mediation, die sechs Punkte zur Diskussion stellte, vonseiten der Gastgeberstadt kommentarlos in allen Punkten abgelehnt wurde.

Seit 1974 ist der Nordteil der Hauptstadt Nikosia türkisch besetzt. War die Ortswahl nicht schon Konfliktstoff genug?

Es war uns von Anfang klar, dass wir keine weitere Gruppenausstellung auf Zypern organisieren wollten, um somit nicht die Verwertungslogik des Kunsttourismus zu reproduzieren. Unsere Idee war, auf beiden Seiten der Green Line, also im Süden und im Norden von Nikosia, langfristig eine Schule zu etablieren, die die Bedingungen kultureller Produktion mit interdisziplinären Techniken thematisiert, um somit eine Infrastruktur aufzubauen, die langfristig die lokale Szene unterstützt. Es war uns von Beginn an wichtig, beide Seiten, die griechische und die türkische, mit einzubinden, um niemanden auszuschließen. Dies haben wir uns vertraglich zusichern lassen.

Mit welcher Absicht?

Zypern hätte sich in idealer Weise für dieses Projekt geeignet, da die Insel von drei Kontinenten flankiert wird und somit ein Transmissionsriemen für Bildungsmigration hätte sein können. Eingeladen haben wir 25 so genannte Advisors aus allen gesellschaftlichen Bereichen, dazu Menschenrechtsgruppen und 80 Studenten aus allen Kontinenten, die unter anderem zu den Themen Arbeitsmigration, Schengener-Abkommen oder zur zypriotischen Verfassung bereits arbeiteten.

Wie sollte die Manifesta 6 den Zustrom von Migranten in den südlichen Inselstaat Zyperns thematisieren?

Zusammen mit der örtlichen Menschenrechtsgruppe Kisa, einem lokalen Anwalt und einer Artista, so bezeichnet der zypriotische Staat osteuropäische Sexarbeiterinnen, die in Cabarets arbeiten, entwarf Silke Wagner einen neuen Arbeitsvertrag für Artistas, der den EU-Richtlinien entspricht. Momentan erteilt die Republik Zypern lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für drei Monate, um Schutzehen zu erschweren, sowie eine Beschäftigungserlaubnis, die auf Menschenrechte weitgehend verzichtet. Darüber hinaus hätte es freie Rechtsberatung für die Artistas und eine dreisprachige Publikation mit Texten gegeben: zum neuen Antifreiergesetz der EU, zu selbst bestimmter Migration, auch zu Frauenrollen und Nation, und welche Gesellschaftsbilder sich dahinter verbergen.

Aber ziehen Prostituierte es aufgrund ihres illegalen Status nicht meist vor, anonym zu bleiben?

Man hat uns nur vor der russischen Mafia gewarnt. Aber wenn man bei jedem Problem gleich den Kopf einzieht, kann man nichts verändern.

War dies auch Ihre Haltung, als es um die Verhandlungen mit der NfA ging?

Natürlich braucht man eine gewisse Hartnäckigkeit, wenn es um kuratorische und künstlerische Autonomie geht. Erst recht, wenn sie, wie in unserem Fall, auch noch vertraglich zugesichert ist. Nachdem man uns im März während der Eröffnung der Berlin Biennale mitteilte, dass im Nordteil nichts stattfindet, hatten wir bis Ende Mai verschiedene Treffen, die den Konflikt entschärfen sollten. Bis zu dem Datum war weder das Produktionsbudget transparent, noch existierten Verträge mit den Künstlern, unsere ägyptische Kollegin Mai Abu al-Dahab erhielt keine Arbeitserlaubnis für Zypern und musste ausreisen. Ein weiterer gravierender Punkt war, dass der Hauptkoordinator Yiannis Toumazis seit Ende März keine Mails mehr beantwortete, und die Absage, einen Teil der Schule im Norden von Nikosia zu eröffnen. Es gibt kein Gesetz, das ein Projekt auf dem „türkischen“ Teil mit „griechischem“ Geld verbietet. Nach der gescheiterten Mediation wurden wir sechs Tage später mit der Begründung, wir hätten das „Cyprus problem“ politisiert, gekündigt.

Waren die Organisatoren von NfA von Beginn an über das Konzept informiert?

Sicher. Toumazis war bei der ersten Projektpräsentation in Frankfurt anwesend. Von Anfang an war unser Konzept bikommunal angelegt und ist auch so in unserem Vertrag festgeschrieben. Hätten wir dem Druck der NfA im März nachgegeben, auf eine Schule im Nordteil zu verzichten, wären wir Teil der zypriotischen Repressionspolitik geworden und ein kulturelles Werkzeug dieser Ausschlussdiplomatie.

Könnte der jüngste Türkeikonflikt ein Grund für die strikte Absage des zypriotischen Südens an den Norden sein?

Wir wissen nichts Offizielles. 80 Prozent der Zyprioten sind gegen eine Wiedervereinigung mit dem Norden. Und man muss wissen, dass der Rechtsanwalt der NfA die „Oxi“-, also „Nein“-Kampagne gegen den EU-Beitritt des Nordens organisiert hat.

Ziel der Manifesta-Biennale ist es, an wechselnden Schauplätzen Europas einen Spot auf die Kunstproduktion zu setzen. Kann bzw. soll die Kunst immer die Vorreiterrolle in den neuen EU-Ländern übernehmen?

Nach dem Scheitern des Projektes muss sich die Manifesta Foundation fragen, ob ihr Modell noch eine Legitimation hat. Ich hoffe, dass nun eine Zäsur durch die Kunstwelt geht und man sich darauf besinnt, dass es um die Erweiterung des Kunstbegriffs geht und nicht nur um eine Erweiterung von Kapitalmärkten. Von der Manifesta Foundation fordere ich, jetzt Verantwortung zu übernehmen und für die Kompensation und die Reisekosten der KünstlerInnen und KuratorInnen aufzukommen.

Auch über eine Verlegung der Manifesta wurde bereits spekuliert …

Für mich ist das Scheitern des Projekts das Projekt.