Bratwurst mit Pfefferspray

GEWALT Die Straße sollte am Samstag in Hamburg nicht allen gehören. Die Polizei löste eine Demonstration auf. Die Folge: die schwersten Zusammenstöße seit Jahren

Der Weihnachtsmarkt, der neben Glühwein auch Sexspielzeug und Stripshows anbietet, musste schließen

AUS HAMBURG KAI VON APPEN
, ANNIKA STENZEL
, ANDREAS SPEIT

Schlagstöcke gegen Steine, Wasserwerfer gegen Flaschenwürfe. In Hamburg eskalierte der Einsatz der Polizei gegen die internationale Demonstration „Die Stadt gehört allen! Refugees, Esso-Häuser und Rote Flora bleiben“. Am Samstag erlebte die Hansestadt die schwersten Auseinandersetzungen seit Jahren. An die 120 Beamte und über 500 Demonstranten wurden laut Ermittlungsausschuss verletzt. Nach bisherigem Stand erlitten 19 Beamte und 20 Demonstranten schwere Verletzungen.

Gegen Abend endete der Protest. Mehr als 7.500 Menschen hatten für ein Bleiberecht der Flüchtlinge aus Lampedusa sowie für den Erhalt des besetzten autonomen Zentrums im Schanzenviertel und der sanierungsbedürftigen „Esso-Häuser“ in St. Pauli an der Reeperbahn demonstriert. Dort, wo sonst Prostituierte stehen, standen Polizeikräfte. Demonstranten zündeten kleine Barrikaden und Mülltonnen an, Polizisten gingen mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen sie vor. Immer wieder schlugen Beamte und Autonome aufeinander ein.

Der Weihnachtsmarkt, der neben Glühwein und Bratwurst auch Sexspielzeug und Stripshows anbietet, musste schließen. Verwunderte Besucher sahen, wie Beamte mit Pfefferspray Demonstranten gezielt angingen, Demonstranten Feuerwerkskörper auf Polizeigruppen warfen. In einer Seitenstraße – hinter den Esso-Häusern – fand derweil eine Spontandemonstration statt. Weit kamen deren Teilnehmer nicht. Die Polizei kesselte rund 150 von ihnen für Stunden ein. Darunter: ein taz-Redakteur. Trotz Presseausweis ließen Beamte ihn erst nach Stunden und mehreren Gesprächen raus. Der vermeintliche Grund: Der Kollege hatte sich nicht sofort als Journalist ausgewiesen.

Bereits am Nachmittag wurden die Auseinandersetzungen ausgelöst: Von der Roten Flora am Schulterblatt wollten die 7.500 Demonstranten auf der genehmigten Route für „Die Stadt gehört allen“ losgehen. Auch Unterstützer aus Griechenland, Spanien und Dänemark nahmen teil. Keine zehn Meter waren die ersten Reihen gegangen, da schritten Polizeikräfte ein. Ohne Vorwarnung schlugen die Beamten mit Schlagstöcken und Fäusten auf die Demonstranten ein. Kaum war etwas Distanz zwischen den ersten Reihen der Demonstranten und der Polizei, beschossen Wasserwerfen den Demonstrationszug, und es flogen Steine und Böller auf die Polizeikräfte.

Am Schulterblatt kam es zwischen Demonstranten und der Polizei zu heftigen Schlägereien. Polizeigruppen stießen mit Schlagstöcken und Pfefferspray vor, Demonstranten warfen verstärkt mit allem, was auf der Straße lag, und schlugen die Beamten zurück. Vom Lautsprecherwagen sagte die Demo-Leitung in Richtung Polizei: „Die gewalttätigen Angriffe auf eine erlaubte Demonstration sind zu unterlassen.“

Von einem Angriff spricht die Polizei nicht. „Wir wollten den Aufzug aufstocken, da er plötzlich losgegangen war“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber der taz. Mit den Anmeldern hätten sie zuvor gerade noch über die Route geredet, sagt er weiter und betont immer wieder, vor Ort gewesen zu sein. Denn die Polizei wollte die Demonstration nicht mehr über die Reeperbahn ziehen lassen, nachdem am Vorabend nach dem Heimspiel vom FC St. Pauli die Davidwache nahe den Esso-Häusern angegriffen und mehrere Streifenwagen demoliert worden waren. Bei dem „Aufstocken“ wären aber die Polizeikräfte sofort massiv mit „Steinen und Böllern“ beworfen worden, erst dann wären Wasserwerfer eingesetzt worden. „Das war derartig gewalttätig, das haben wir lange so nicht erlebt“, sagt Streiber.

Knapp 30 Minuten nach dem missglückten Start hatte die Polizei via Lautsprecher die Demonstration für beendet erklärt. Viele Demonstranten wanderten auch in Richtung Hamburger City, für die ein Demonstrationsverbot verhängt und die zum Gefahrengebiet erklärt worden war. Dort standen 2.000 Beamte bereit, um die demofreie Zone durchzusetzen. Dennoch kam es zu Spontandemos gegen den SPD-Senat.

Insgesamt waren am Samstag nach taz-Informationen an die 4.000 Polizisten im Einsatz. 320 Demonstranten kamen vorläufig in Gewahrsam, 21 wurden festgenommen.