Pro und contra Außenseiter

FAVORITEN VS. UNDERDOGS Wollen wir ein Fest der großen Teams mit großen Spielern sehen? Oder ist die größte Show, wenn ein Außenseiter einen der üblichen Verdächtigen besiegt?

Der Weg nach Südafrika lohnt sich nicht, wenn wieder nur einer der üblichen Verdächtigen gewinnt

VON FRAUKE BÖGER

Ach ja, na klar, wir finden es schick, für die Kleinen zu sein. Das entspricht dem Gerechtigkeitsbedürfnis, das wir haben und das so furchtbar leidet, weil es einfach nicht befriedigt wird. Da spielt dann Algerien unentschieden gegen England und wir freuen uns, weil die arroganten Imperial-Engländer das verdient haben und Algerien als Außenseiter und sowieso armes, ungerecht behandeltes Land auch mal einigermaßen groß auftrumpfen darf.

Aber mal ganz ehrlich – wäre ein Endspiel Dänemark gegen Honduras wirklich ein Genuss? Kleingeistiger Fußball der Kleinen. Das wäre genauso wie ein Sonntagabend mit „Polizeiruf“ statt „Tatort“. Ja, man guckt es eben, ist ja schließlich Sonntag, eine Alternative gibt es nicht und der „Polizeiruf“ wird ja auch immer besser. Aber die große Freude sieht anders aus. Das wohlig-kribbelige Lümmeln auf dem Sofa weicht einem resignierten Hockenbleiben.

Ich will sie sehen, die Großen, die ich kenne – ihren Schmerz, ihre Wut und unbändige Freude. Ich will Maradona dabeihaben, ich will richtig guten Fußball sehen. Mit Kaka, Messi, Özil, Drogba, Robben. Und eigentlich auch mit Anelka. Meine Charity-Gefühle lebe ich ein andermal aus.

Die Kleinen gehören dazu, und ein bisschen Schadenfreude über einen Sieg gegen die arroganten Helden ist das Salz, was eine WM schmecken lässt. Aber versalzen lassen will ich sie mir nicht.

Scheinheilige Sympathie für die Kleinen hat in einem Wettkampf wie der Weltmeisterschaft nichts zu tun. Sie ist bigott, weil sie verkennt, dass Siege der Kleinen das System nicht ändern. Wer die Fifa-WM feiern will, muss sie feiern, wie sie ist: großkotzig, imperialistisch, korrupt und heldenfixiert. Da können wir drüber debattieren und vieles kritisieren, aber bitte: Es geht um Unterhaltung und Entertainment, es geht um Figuren, die wir bewundern und bemitleiden, und das geht nur, wenn wir sie kennen.

Wie beim Sieg der Griechen bei der Europameisterschaft 2004. Klar, die Griechen waren die Außenseiter und die Freude über ihren Sieg war groß, weil er überraschend war. Aber auch, weil es eben Otto Rehhagel war, der diesen Sieg geholt hat – nur wegen ihm ist der Sieg in Deutschland gefeiert worden, nur an ihn erinnern wir uns. Ihn kennen wir, ihn genießen wir, wenn er siegt. Und die Griechen sind uns einfach noch näher als die Honduraner.

Klar, wir wünschen den schwächeren afrikanischen Mannschaften, lange im Turnier zu bleiben – das tut sogar der ZDF-Kommentator. Gehört sich eben so. Aber warum? Weil sie guten Fußball spielen? Weil Blatter die WM nach Südafrika geholt hat? Oder weil es einfach unser Herz erwärmt und unseren eurozentristischen Blick von oben gefühlt von unten kommen lässt? Was dahinter eigentlich schlummert ist das Feiern von elf kleinen Negerlein. Und das kann keiner wollen.

Frauke Böger

■  28, ist Volontärin der taz und Mitglied des WM-Teams. Ihre Fußballkarriere als rechte Außenverteidigerin beim ostwestfälischen TUS Eichholz-Remmighausen endete viel zu früh wegen akuter Knieprobleme.

VON CAROLIN KÜTER

Der Ball ist rund, nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und das Runde muss ins Eckige. Das wissen wir, müssen wir noch mehr wissen? Zum Beispiel, dass das Spiel der Italiener sich mehr in der Horizontalen abspielt, anstatt fairen oder auch nur effektiven Fußball zu bieten? Oder dass Fußball aus dem Mutterland immer wieder überbewertet und selten ansehnlich ist? Dass selbst Holland inzwischen öden Ergebnisfußball spielt.

Erwartbare Niederlagen, Rivalenkämpfe in der Wiederholungsschleife und Jubeln im Gewinnertrikot der letzten Turniere haben Ritualcharakter wie Silvester, Ostern, Weihnachten. Alle Jahre wieder Korken knallen, Eier suchen, Plätzchen backen.

Wiederholen sich im vierjährigen Turnus auch auf dem Fußballfeld nur die altbekannten Rituale, verkommt die Fußball-Weltmeisterschaft zur reinen Statistik, werden Beamtentugenden mehr kultiviert als Sportsgeist und Spielbegeisterung.

Fanehrgeiz besteht nicht darin, schon vor dem Vorrundenende alle Achtelfinalspiele in den Spielplan eingetragen zu haben. In vorhersehbaren Mannschaftsaufstellungen, sich wiederholenden Spielkonstellationen und erwartbaren Reaktionen finden Besserwisser ihr Glück, nicht jedoch Fußballfans.

Auch für Sportbegeisterte ist Schadenfreude immer noch der größte Spaß. Wie wäre es, Brasilien bei seinem totbeschworenen „schönen Spiel“ bei nicht mehr als drei Vorrundenspielen zusehen zu müssen, 90 Minuten Fußball wie einen Krimi und nicht wie einen Jahresabschlussbericht zu erleben? Als Krönung den Italienern in diesem Turnier statt dem Pokal ein Taschentuch für ihre Tränen reichen zu können? Und in überraschenden Konstellationen Mannschaften mit wahrem Kampfgeist beim Spielen zuzusehen?

Wer die Schweiz oder Nordkorea im Finale sieht, erweitert seinen Fußballwortschatz auf mehr als die etablierten zehn Namen und erweitert dabei noch seinen Horizont.

Auf vorhersehbare internationale Sportturniere können wir verzichten. Der weite Weg nach Südafrika lohnt sich nicht, wenn am Ende wieder nur einer der üblichen Verdächtigen gewinnt. Genau das macht den Reiz eines Wettkampfs aus: Dass eben nicht immer die Favoriten – meinetwegen: die Besten – gewinnen. Sonst könnte man auf eine solche Show gleich ganz verzichten und einfach alle vier Jahre dem Führenden der Fifa-Weltrangliste den Pokal per Einschreiben schicken.

Nicht, um von Altbewährtem eingeschläfert zu werden, schaut die Welt nach Südafrika. Rasende Emotionen, Entsetzen und Fassungslosigkeit, Überraschung und den hemmungslose Jubel des Underdogs, das erwarten wir von Fußball am Kap. Für Nordkorea, die Schweiz oder Nigeria im Finale. Nicht weil’s gerechter ist, sondern weil’s mehr Spaß macht.

Carolin Küter

■  ist 26 Jahre alt und als Redakteurin der taz-Akademie Mitglied der WM-taz. Sie beendet gerade ihr Studium und überlässt das Sporttreiben lieber Menschen, die dies können, und schaut ihnen gerne dabei zu.