„Zauberer und Politiker haben viel gemeinsam“

DER MAGIER Für seine Tricks braucht Peter Schuster nur ein Kartenset. Damit aber kann er einiges anfangen: Der Vorsitzende des Berliner Zauberervereins erzählt, wie er sich an DDR-Grenzern vorbeizauberte, was Mathematik und Magie verbindet – und warum Zauberer schon mal als Spione arbeiten, wenn sie sonst nichts zu tricksen haben

■ Der Mann: Der 79-jährige Vorsitzende des Magischen Zirkels ist Politologe, saß zehn Jahre für die SPD im Abgeordnetenhaus und war ab 1999 Alterspräsident.

■ Der Verein: Der Zirkel ist die Vereinigung der Berliner Zauberer, die am Abend jeden dritten Mittwochs im Monat eine Show in ihren Räumen zeigt. Der Verein existiert seit 1920. Er verlegte zuletzt mehrere Stolpersteine, um an jüdische Zauberer aus Berlin zu erinnern, die die Nazizeit nicht überlebten. Unter anderem liegt einer vor dem Haus der Friedrichstraße 55, wo die Familie Kroner einst das Geschäft „Zauberkönig“ betrieb.

■ Der Nachwuchs: Kinder, die zu Weihnachten einen Zauberkasten bekommen haben, können am 4. Januar von 13 bis 17 Uhr erste Tricks lernen. Sie müssen fürs Training ihren Kasten und 12 Euro mitbringen – und sich vorher anmelden.

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INTERVIEW ANNE HAEMING
FOTOS JOANNA KOSOWSKA

taz: Herr Schuster, haben Sie Ihren Zauberstab dabei?

Peter Schuster: Nein, ich arbeite ohne.

Und wie sieht Ihre Zaubereruniform aus? Umhang und Zylinder?

Nein, das ist nicht mein Stil. Ich zaubere immer wie ich bin, binde mir vielleicht noch eine Krawatte um. Früher trug man traditionell Frack, ja, aber das ist längst vorbei. Heute gilt: Was man anhat, muss zur Show passen. Wenn einer eine jugendlich flotte Nummer macht, kann der auch in Jeans auftreten. Auch wenn sich die Präsentation wandelt: Die Tricks bleiben im Kern immer die gleichen.

Stimmt’s, dass „Simsalabim“ eine Berliner Erfindung ist?

Kann man so sagen, das hat der Zauberer Kalanag 1939 hier populär gemacht, aber eigentlich hat er es von einem dänischen Kollegen übernommen.

Und was ist Ihr Zauberwort?

Ach, mal das eine, mal das andere. Abrakadabra ist der Klassiker, das hat mystische Ursprünge.

Wo hört denn Zaubern auf und fängt Magie an?

Das ist sprachlich das gleiche, darum heißen wir ja „Magischer Zirkel“. Ab und an verwechselt man uns mit spiritistischen Zirkeln, Leute rufen an und fragen, ob wir auch Séancen abhalten. Im Deutschen sind die beiden Begriffe nicht klar zu trennen, sie sind doppeldeutig. Andere Sprachen haben ein eigenes Wort für den Trickzauberer: etwa den conjurer im Englischen oder den préstidigitateur im Französischen. Im 19. Jahrhundert hat ein Sprachreinigungsverein vorgeschlagen, das französische Wort direkt zu übersetzen: Daraus wurde „der Schnellfingerierer“. Das hat sich dann glücklicherweise nicht durchgesetzt.

Sie sind Vorsitzender des Zauberervereins „Magischer Zirkel“. Was muss ich machen, um aufgenommen zu werden?

Man muss zaubern können.

Aha. Wie beweise ich das?

Viele haben mit einem Zauberkasten angefangen, den sie als Kind zu Weihnachten bekommen haben und wollten dann mehr lernen. Wer sich bei uns meldet, ist erst einmal ein Jahr Anwärter, dann muss man eine Aufnahmeprüfung ablegen.

Und dann stimmen die Mitglieder sicher geheim ab, oder?

Nein, offen, mit Handzeichen. Früher hat man mit weißen und schwarzen Kugeln gewählt, das hatte man sich von den Freimaurern abgeschaut. Aber das war zu einer Zeit, als man sich noch als Geheimbund verstand. Das einzige, was sich davon gehalten hat, sind die Sitzungen, in denen wir unsere Kunststücke unter uns offenlegen – eine Art interne Fortbildung. Da treffen sich dann die einzelnen Arbeitskreise, es gibt den AK Show, den AK Mentalmagie, den AK Geschichte und den AK Kartentricks.

Wie haben Sie denn selbst damals angefangen?

Mit einem Buch aus der Schulbücherei, da war ich 12. Da hat mich der Bazillus gepackt.

Und was war Ihr erster Trick?

Bei uns in der Schule war damals ein Zauberer aufgetreten und ich saß da und habe sofort alle Tricks durchschaut, obwohl ich keine Ahnung hatte. Er verteilte Kuverts, die Leute steckten was rein, die Kuverts wurden verklebt, zurückgegeben, gemischt. Und dann sagte er eben: Das haben Sie reingesteckt, das Sie, das Sie. Den Kuverttrick habe ich sofort nachgemacht. Das ist mittlerweile einer meiner Standards.

Und wie geht der?

Das verrate ich nicht.

Wo bekamen Sie als Kind Ihre Zaubergeräte her?

In der Regel habe ich mir die Dinge selber gebastelt. Natürlich gab es in Berlin auch Händler, zu denen man sein Taschengeld geschleppt hat, aber die Originale waren alle sehr teuer. In den Läden standen fantastische Geräte rum, und wer wie ich Zauberbücher gelesen hatte, wusste, was was war. Wir gingen hin, wann immer wir konnten, zum „Zauberkönig“ in der Friedrichstraße oder eben zu Horster.

Horster?

Der war auch in der Friedrichstraße. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beherrschte er den Weltmarkt der Zaubergeräte. Er selbst war 1944 gestorben, den Laden haben seine Frau und deren Bruder weitergeführt. Er hat viele Bücher geschrieben, die auch heute noch sehr interessant sind für alle, die Zauberer werden wollen. Seine größten Rivalen waren zwei Hamburger Zauberhändler, deren Produkte Horsters Berliner Konkurrent, der „Zauberkönig“, verkaufte.

Was ist Berlins Zauberkultur?

Wir verstehen uns als Verein, der sich nach außen öffnet. Wir geben hier einmal im Monat öffentliche Zaubervorstellungen und bieten Vorträge zur Zauberkunst an; in manchen anderen Städten sind Zirkel eher wie Stammtische. Traditionell haben wir viele Berufszauberer, heute sind das etwa 20 Prozent in unseren Reihen, aber eben auch viele Amateure. Der Berliner Zirkel ist offiziell erst 1920 entstanden, aber der Vorgängerverein schon 1901 und ist damit der älteste der Welt. Der Londoner begann erst 1904.

Wie kam’s?

Zufall. Da haben sich eben einfach einige Leute zusammengefunden. Man nannte sich Amateurvereinigung für magische Kunst zu Berlin. Es waren immer die gleichen Leute, Horster gehörte auch dazu, aber er sorgte immer für Konflikte, so gründete er 1905 die Maja, einen eigenen Verein. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kamen wieder alle zu einer Gruppe zusammen.

Und dann kamen die Nazis.

Nach dem Erlass der Rassengesetze durften die jüdischen Zauberer ab 1936 nicht mehr im Magischen Zirkel sein. Der Verein wurde in die Reichsfachschaft Artistik eingegliedert. Das war der Überlebenstrick, den sich der Zauberer Helmut Schreiber alias Kalanag ausgedacht hatte.

er war in der Filmbranche aktiv, hatte gute Kontakte zu Propagandaminister Goebbels …

Die meisten jüdischen Zauberer sind bis Mitte der 1930er gegangen, die Tochter vom „Zauberkönig“ und der Zauberer Günther Dammann kamen im Konzentrationslager um. Viele wussten erst, dass ihre Zauberer-Kollegen Juden waren, als einige von einem Tag auf den anderen verschwunden waren. Es war ein riesiger Aderlass.

In Neukölln gibt es einen „Zauberkönig“, der 2012 von zwei Frauen übernommen wurde. Was hat der mit Kroner zu tun?

Das ist das gleiche Geschäft. Als es 1938 in der Reichskristallnacht enteignet wurde, hat es die Verkäuferin Regina Schmidt übernommen. In den 1950er Jahren musste sie als Westberlinerin ihren Laden in Ostberlin aufgeben und zog nach Neukölln. Nach ihrem Tod hat ihn Günter Klepke gekauft, jetzt macht seine Enkelin mit einer Freundin weiter.

Nach der Wende fusionierten die zwei Berliner „Zirkel“. Wie viel hatten Sie vorher mit den DDR-Kollegen zu tun?

Wir hatten immer Kontakt zu dem Ostberliner Magischen Zirkel. Wir haben regelmäßig Zauberutensilien rübergebracht, einmal hatte ich eine Spielzeugpistole dabei. Als ich damit an der Kontrolle erwischt wurde, hat der Grenzer erstmal seine eigene gezückt. Ich habe erklärt, dass sie für einen Berufszauberer sei, der auch für die NVA zaubert – da durfte ich sie mitnehmen. Einmal waren wir bei einem Gastspiel in Magdeburg. Auf dem Rückweg stoppten uns die Grenzbeamten und wollten wissen, was in den Koffern ist.

Und dann?

Als wir sagten, dass wir Zauberer sind, haben sie erstmal die Grenze dicht gemacht. Und wir mussten in der Baracke eine halbe Stunde für sie zaubern. Danach durften wir unkontrolliert weiterfahren. Das war schon immer typisch für Zauberer, auch in der Nazizeit: Sie sind Überlebenskünstler, sie kommen immer irgendwie durch. Einige haben auch als Spione gearbeitet. In der Nachkriegszeit haben viele Amateurzauberer damit eine Zeit lang ihren Lebensunterhalt verdient, weil sie in ihrem eigentlichen Beruf keine Chance hatten.

Sie haben hier eine Vitrine mit historischen Geräten, etwa „Der moderne Finanzminister“. Wie funktionierte das?

Da erschien am Ende des Zauberstabs eine Münze. Die sind alle nicht mehr in Betrieb, einige wurden weiterentwickelt. Auch die „Wandernden Flaschen“ werden noch vorgeführt: Da wandern Flaschen zwischen Röhren hin und her.

Klingt nach dem Prinzip des berüchtigten Hütchenspiels …

Das funktioniert etwas anders. Auf diese Kriminellen fallen die Leute immer wieder rein, aber eigentlich ist das Becherspiel eines der ältesten Zauberkunststücke der Welt. Das gibt es seit gut 2.000 Jahren und war lange das Symbol für Zauberer, egal ob auf Tarotkarten oder in den Karikaturen von Daumier. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert: Seither sind Zylinder und Kaninchen die typischen Symbole. Das sieht man auch an den Karikaturen: Politiker werden heute oft mit Hut gezeigt, aus dem sie irgendwas herauszaubern.

Haben Sie auch schon mit Kaninchen gezaubert?

Ja, ich hatte mir extra dafür eine Kiste gebaut.Und wo hatten Sie die Tiere her? Die hatte ich mir geborgt, ich hatte Freunde auf dem Land. Bevor die Tiere geschlachtet wurden, kamen sie in die Zauberkiste.

Wieso sind Sie eigentlich nicht Berufszauberer geworden?

Gelegentlich träumt man mal davon, aber das war immer nur ein Hobby, ich habe damit mein Studium finanziert. Ich habe einen Abschluss in Politologie gemacht und dann an der Pädagogischen Hochschule Lehrer ausgebildet. Und ich war auch zehn Jahre Abgeordneter im Abgeordnetenhaus.

Hat Ihnen die Zauberei in der Politik denn genutzt?

Meine Tricksereien wollte ich als Politiker nie einsetzen. Aber es gibt gewisse Gemeinsamkeiten: Einige Politiker verdecken und verschleiern ihre wahren Absichten. Je besser ihnen das gelingt, desto besser stehen sie dann oft da. Schon im 19. Jahrhundert gab es in Frankreich viele Karikaturen, etwa von Honoré Daumier, die Politiker als Zauberer darstellten. Das war natürlich negativ gemeint, im Sinne von: Der trickst wie ein Zauberer.

Was ist denn Ihre Spezialität?

Ich mache Kartentricks und alles, was zwischen Tisch und Bühne stattfindet. Wir nennen das Salonmagie. Ich lasse keine Elefanten verschwinden.

Sie haben da ein Kartenspiel liegen, vorne viele Zahlen, hinten steht „Politik ohne Trick“.

Ja, das hat eine doppelte Bedeutung: Diese Sets habe ich mal als Wahlkampfgeschenk anfertigen lassen.

Kam sicher gut an.

Ja, ist mal was anderes als Kugelschreiber. Ich zeige Ihnen mit denen jetzt mal einen schönen alten Trick. Sie sehen, auf den Karten sind Zahlenreihen drauf. Denken Sie sich mal eine Zahl zwischen 1 und 63.

Ok.

Jetzt schauen Sie sich die Karten durch und geben mir alle, auf denen Ihre gedachte Zahl steht.

Hier, bitte. Halt – die auch noch.

Diese vier? Aha. Ist ja interessant.

Na, spucken Sie’s schon aus.

Sie meinen, ich weiß das schon? Gut: Es war die 23.

Stimmt. Wie haben Sie das denn jetzt gemacht?

Das verrate ich auch nicht. Es ist ein simpler Zahlentrick. Die Mathematik war schon immer Teil der Zauberei, für viele Mathematiker ein amüsanter Zeitvertreib.

Am anderen Ende des Spektrums gibt es Löffelverbieger wie Uri Geller. Ist er eine andere Gattung Zauberer?

Letztlich macht er das gleiche wie wir: Er arbeitet ja mit Zaubertricks. Nur: Leute wie er wollen, dass die Leute denken, sie verfügen über übersinnliche Fähigkeiten. Aber sich als übersinnlich auszugeben, ist in Zaubererkreisen verpönt. Wir arbeiten mit Physik, Mathematik, Fingerfertigkeit und Psychologie. Die psychologischen Tricks, mit denen Mentalmagier arbeiten, werden übrigens gerade von Neuropsychologen erforscht. Sie schauen sich die Täuschungsmomente an, mit denen Zauberer arbeiten, weil sie entdeckt haben, dass diese Mechanismen brauchbar für andere Bereiche sind, etwa die Werbung.

Inwiefern?

Ein Zauberer steuert immer auch die Aufmerksamkeit des Publikums. Wenn er etwas verstecken will, tritt in dem Moment die schöne Assistentin auf die Bühne und alle sind von ihm abgelenkt. So etwas ist für einen Werbeclip natürlich wichtig, genauso für den Aufbau von Waren in einem Geschäft.

Die Assistentin ist ein Klischee, so auch der Macho-Trick mit der zersägten Jungfrau. Unter Ihren 75 Mitgliedern sind auch nur fünf Frauen. Warum?

Ich habe dafür keine endgültige Erklärung. Vielleicht bekommen eher Jungs einen Zauberkasten geschenkt. Aber Frauen gehen mittlerweile aktiv gegen das Klischee vor, in Deutschland gibt es sogar eigene Treffen der Zauberkünstlerinnen. Aber was soll man machen, als Assistentin haben sie eine wichtige Funktion.

Ein attraktiver Mann würde aber garantiert auch ablenken.

Ja, könnte sein. Aber ich kenne derzeit keine Zaubershow, in der eine Frau einen Mann als Hilfskraft zur Ablenkung einsetzt.

Gehen Sie hin, wenn ein „Übersinnlicher“ hier auftritt?

Ich würde mir das interessehalber anschauen. Aber wir rufen natürlich nicht in den Saal: „Ist alles Trick!“.

Auch weil es gegen den Ehrenkodex ist, Tricks zu verraten? Sie weigern sich ja beharrlich.

Ja, das gilt grundsätzlich. Es ist unangebracht, eigene oder die Tricks der anderen zu verraten. Es wäre auch dumm: Die Leute kommen ja in die Shows, weil sie getäuscht werden wollen. Aber man kann sich natürlich Zauberbücher kaufen oder vieles bei YouTube sehen.

Der „Zauberkönig“ musste fast schließen. Hat die Zauberei in Zeiten von YouTube den Zauber verloren?

Im Gegenteil, die Zahl der Zaubershows nimmt zu, gerade touren die „Ehrlich Brothers“ durchs Land. Anders als in den vergangenen zehn Jahren gibt es auf einmal ein wachsendes Interesse, das merken wir auch – nachdem es jahrelang keine Nachfrage gab, haben wir jetzt wieder eine Jugendgruppe mit über zehn Nachwuchszauberern.

Die Plakate für die deutschen „Ehrlich Brothers“ hängen seit Wochen überall in der Stadt. Man denkt sofort: haha, ehrliche Zauberer.

Die heißen übrigens wirklich so. Der Name hat einen schönen Klang und ist mit der Doppeldeutigkeit natürlich auch sehr werbewirksam.

Was ist Ihr Zauberer-Name?

Sowas hatte ich nur früher.

Und welchen?

Peter Fabian.

Wieso ausgerechnet den?

Keine Ahnung, einfach so.

Klingt jetzt nicht so spektakulär wie „Der Große Houdini“.

Stimmt. Früher hat man häufig seinen Namen etwas verändert, damit es plakativer wirkt: Da gab es dann Zauberer namens „Fritzini“ oder „Müllerano“.

Als Zauberer ist man stets im Dienst – Sie haben sicher immer was für irgendwelche Tricks dabei, oder?

Ja, ein Kartenspiel. Aber zur Not reichen mir auch ein paar Papierservietten.