Der Mann für die Spiele

VIERSCHANZENTOURNEE Der vierfache Olympiasieger Simon Ammann hatte den Anschluss an die Weltelite verloren. Rechtzeitig vor Sotschi kommt der Schweizer wieder in Form

„Du bist in der Luft, du spürst, wie es vorwärtsgeht, und denkst: Himmel, wie ging das jetzt am Schanzentisch los. Das hat einen unglaublichen Reiz“

SIMON AMMANN

AUS OBERSTDORF KLAUS-ECKHARD JOST

Er ist wieder da, der kampfeslustige Simon Ammann. „Ich habe mit der Vierschanzentournee noch nicht abgeschlossen“, sagt der 32 Jahre alte Schweizer in Oberstdorf. Und lacht sein ansteckendes Lachen. „Solange ich mit einer guten Form hinkomme, versuche ich etwas zu erreichen.“ Seine Form ist vielversprechend. Die Qualifikation auf der Schattenbergschanze beendete er als Drittbester (Springen war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Vor dem Tournee-Auftakt wurden der Pole Kamil Stoch und Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer noch ein wenig höher eingeschätzt. Auch Severin Freund. Gut möglich, dass in Ammanns Vita zweimal Platz zwei (2008/2009, 2010/2011) und einmal Platz drei (2006/2007) als beste Ergebnisse bei der Traditionsveranstaltung bestehen bleiben werden.

Die gute Form war in den vergangenen Jahren nicht immer vorhanden. Nach dem Winter 2010, als er zum zweiten Male nach 2002 bei den Olympischen Spielen beide Goldmedaillen gewonnen hat und als Zugabe auch den Gesamtweltcup erringen konnte, verlor er den Anschluss. Aus mehreren Gründen. Zum einen hatte er immer wieder mit Rückenproblemen zu kämpfen – ein Preis, den der Schweizer, der mit 16 Jahren im Weltcup auftauchte, für das jahrelange intensive Training bezahlen muss.

Zum anderen hatten sich die Rahmenbedingungen geändert. Die Anzüge wurden enger, dadurch war mehr Athletik gefragt. Der Absprung bekam eine immer größere Bedeutung. Für einen Springer wie Ammann, der von seinem feinfühligen Fluggefühl profitiert hat, ein gravierender Nachteil. Doch davon ließ sich das Leichtgewicht (60 Kilogramm bei 1,73 Meter Körpergröße) nicht abschrecken. Er intensivierte die Arbeit im Kraftraum. „Ich habe versucht, meine Grenzen in den Kraftwerten nach oben zu verschieben“, berichtet er. Der Erfolg zeigt sich nun auf der Schanze. „Ich habe eine gute Beschleunigung.“ Wie zur Bestätigung lacht er bei diesen Worten.

Dass Simon Ammann ausgerechnet in diesem Winter wieder zu großer Form aufläuft, ist auch nicht unbedingt verwunderlich. Im Februar stehen wieder Olympische Spiele an. Und er ist der Olympia-Mann unter den Springern. Mit seinen vier Goldmedaillen ist er der erfolgreichste Olympionike dieser Sportart. Doch damit ist der Erfolgshunger noch nicht gestillt. „Ich habe noch ein großes Projekt gebraucht.“ Olympia in Sotschi ist dieses Projekt.

Dabei spielt auch eine wichtige Rolle, dass Simon Ammann zu Russland eine ganz spezielle Verbindung hat. Seit dem Sommer 2010 ist er mit Jana Janowskaja verheiratet. Die stammt allerdings aus einer ganz anderen Ecke Russlands. Ihre Heimat Karelien liegt ganz im Norden des riesigen Landes, grenzt an Finnland. Die Hauptstadt ist St. Petersburg.

Auch in den schweren Zeiten hat der kleine, lustige Typ, der zweimal zum Schweizer des Jahres gekürt wurde, nie ans Aufhören gedacht. Stets hatte er die Olympischen Spiele im Blick. „Das ist wie ein Vertrag mit mir selbst“, bekennt er. Und wenn er mit sich selbst so etwas vereinbare, „dann gibt es kein Zurück mehr“. Vor allem nicht, wenn man es mit einem so philosophischen Ansatz angeht wie Ammann. „Beim Skispringen hast du immer wieder Sprünge, wo es dich selber überrascht. Du bist in der Luft, du spürst, wie es vorwärtsgeht, und denkst, Himmel, wie ging das jetzt am Schanzentisch los. Das hat einen unglaublichen Reiz. Immer noch.“ Dann geht er ins Detail. „Du hast immer noch diese technischen, mentalen und physischen Bereiche, wo du zulegen könntest.“ Trotzdem, oder gerade deswegen, bekennt er ganz offen: „Die letzten beiden Jahre waren nicht sehr bequem.“ Und wieder lacht er erfrischend.

Wie lange will er sich denn quälen? Plant er schon konkret seine Zukunft für die Zeit nach den Olympischen Spielen? „Mir ist klar, dass ich diese Fragen bei jedem Wettkampf hören muss.“ Er wird nachdenklich. Und gewährt einen Einblick in sein Seelenleben. „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich noch ein Genussjahr brauche und mich überall verabschieden muss, dann werde ich das tun.“ Um prompt wieder das kurze, helle Lachen anzustimmen. „Man wird älter. Ob man erwachsener wird, ist die andere Frage.“