die taz vor zehn jahren über das fußballfieber in der taz-redaktion und endspiel-wetten auf deutschland
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Vor kurzer Zeit prognostizierte der Kollege Jens König an dieser Stelle, die deutsche Nationalmannschaft werde die Europameisterschaft gewinnen. Einen ganzen Monatslohn hat der Wahrsager auf den Sieg des Berti-Vogts-Teams verwettet und damit einen Sturm auf das taz- Wettbüro ausgelöst.

Selbst Redakteure, die „Euro 96“ bisher für eine Arbeitsgruppe innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hielten und unter „Kombinationsmaschine“ ein am Westmarkt gescheitertes Produkt aus Sachsen-Anhalt verstehen, geben ihren Viertelfinalrundentip ab. In der Hoffnung, später kräftig absahnen zu können, haben Teile der Belegschaft Kredite aufgenommen. Die Telefonzentrale soll gar ihre gesamten Essensmarken für dieses Jahr auf einen 14:0-Sieg gegen Kroatien gesetzt haben.

Die Chefredaktion registriert entsetzt, wie Redaktionskonferenzen in Fußballdebatten umfunktioniert werden. Hätte diese Zeitung keinen Sportteil, würde sie wohl überhaupt nicht erscheinen. So aber strengen sich alle an, den Platz um die Fußballberichterstattung herum zu füllen, damit sie am nächsten Tag eine Tabelle zur Hand haben.

Im Auftrag der Chefredaktion liegt es nun an mir, dem unseligen Auslöser dieser Massenhysterie Paroli zu bieten und mindestens einen einleuchtenden Grund zu nennen, der gegen einen deutschen Europameister spricht.

Hier ist er – die deutsche Mannschaft ist demoralisiert. Sammer ist seit der verzweifelten Abwehrschlacht gegen Italien so verunsichert, daß er von Vogts öffentlich getröstet werden mußte. (…) So kann man nicht gewinnen, und das sollte selbst die Kulturredaktion überzeugen, die sich einen Riesenreibach mit dem Euro-Final-Tip „Deutschland–Niederlande“ ausgerechnet hat. Nein, Kollegen: Diesmal schafft Deutschland das nicht.

Carola Rönneburg in der taz

vom 22. Juni 1996 (Deutschland wurde 1996 doch Europameister. Anm. d. Red.)