Norddeutschland und die Sterne: ein kurzer historischer Überblick

■ Nikolaus Lilienfeld und die Zeit GottesDie ungeschriebene Astronomiegeschichte Norddeutschlands kann man mit Nikolaus Lilienfeld beginnen lassen – im Ungewissen. Denn wann und wo der Schöpfer der astronomischen Uhr von Stralsund geboren wurde, wann und wo er starb – unklar. Fest steht, dass er die Sternenkarten-Uhr an St. Nikolai am 6. 12. 1394 fertigstellt – und danach zwischen Lund und Rostock im östlichen Hanseraum tätig ist. Neben dem Ziffernblatt sind die Astronomen König Alfons X von Kastilien, Abu Ma’shar al-Balkhi, Ali ibn Ridwan sowie der Urheber des damals gültigen Weltbildes, Ptolemäus, dargestellt – die konventionelle Ahnen-Reihe, in die sich Lilienfeld kühn mit einem Porträt und einer Inschrift einträgt: sehr selbstbewusst, und doch bescheiden auf der Rückseite.

■ Tycho Brahe, der WeltraumpolitikerDen am 14. 12. 1546 in Schonen geborenen Dänen Tycho Brahe verschlägt 1596 ein widriger, aber fachtypischer Umstand aufs Gut Wandesburg in Wandsbek bei Hamburg: Er ist klamm. Sein Geldgeber, Friedrich II. von Dänemark, ist nämlich gestorben, und dessen Nachfolger findet Sternegucken öd. In Wandsbek ediert Brahe sein Buch über Astro-Instrumente, mit denen er die Dauer eines Jahrs auf 2 Sekunden genau bestimmen kann. Außerdem verfasst er die Abhandlung „Stellarum octavi orbis inerrantium accurata restitutio“, die er Kaiser Rudolf II. widmet – und auch dem Braunschweig-Lüneburger Herzog Heinrich Julius schenkt. In ihr entwirft Brahe ein Weltbild, das wie ein Kompromiss wirkt zwischen dem ketzerischen des Kopernikus, das Brahe als guter Christ ablehnt, und dem kanonischen des Ptolemäus, das der Beobachtung nicht mehr standhält. Bald danach erhält er einen Ruf an den kaiserlichen Hof nach Prag.

■ William Herschel, der Organist des HimmelsBrauchen wir Uranus? Würde uns das All zu eng, wenn unser Sonnensystem nur den halben Umfang hätte? Stellen lassen sich diese Fragen erst infolge des Wirkens von William Herschel, der am 15. 11. 1738 in Hannover geboren wird und als Kirchenmusiker durch seine privaten Studien den Himmel, durch seine Spezial-Fernrohre dessen Beobachtung und durch deren Systematisierung die astronomische Wissenschaft völlig neu organisierte. Mit der Idee einer allmählichen Entwicklung des Alls befreite er die Menschheit von der fatalen Idee einer unabänderlichen Schöpfung. 1781 erhält er eine gut dotierte Stelle als königlich britischer Hofastronom.

■ Caroline Herschel, die Mutter der KometenCaroline Herschel, die am 16. 3. 1750 geborene Schwester von William, soll eine begabte Sopranistin gewesen sein – und eine ebenso gute Astronomin wie er. Ihr war diese Begabung aber offenkundig peinlich: Stets will sie nur als Gehilfin ihres Bruders gesehen werden – kassiert aber, als erste Frau des Wissenschaftsbetriebs überhaupt, für ihre Assistententätigkeit ein Gehalt. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die Schweifsterne oder Kometen: Acht von denen entdeckt sie. Nach dem Tod ihres Bruders zieht sie zurück in ihre Geburtsstadt Hannover, wo sie die gemeinsamen Beobachtungen für die Nachwelt katalogisiert. Sie stirbt am 9. 1. 1848, 97 ist sie da.

■ Die Astro-Clique: Gauss, Olbers, SchroeterIn Lilienthal bei Bremen, wo Johann Hieronymus Schroeter 1782 beraten von Herschel die damals weltgrößte Sternwarte gegründet hatte, wird am 20. 9. 1800 eine astronomische Vereinigung gegründet. So etwas gab es noch nie. Neben Schroeter ist der Bremer Arzt Wilhelm Olbers ihre wichtigste Figur, der zudem eng mit dem Leiter der Göttinger Universitäts-Sternwarte, Carl Friedrich Gauß (Foto), befreundet ist: Der hatte 1780 eine Methode zur Berechnung von Asteroiden-Bahnen vorgelegt, Olbers wiederum interessierte sich für Kometen-Orbits. Als Matrix bildet sich aus dieser Astro-Achse ein feinmaschiges Netzwerk über Nordeuropa, bis nach Königsberg, St. Petersburg und Paris.

■ Otto Heckmann, der sonnige MitläuferZwar gab der 1901 in Opladen geborene Astronom für die Nazis nicht den Glauben an die Relativitätstheorie auf. Und als gesichert gilt, dass er im Stab der Sternwarte von Hamburg-Bergedorf, deren Leitung er 1942 übernommen hatte, eine jüdische Wissenschaftlerin untergebracht hatte. Gleichzeitig koordinierte er den Aufbau der reichsweiten Sonnenforschung – kriegswichtig, weil deren Tätigkeit auch den Funkverkehr beeinflusst. 1962 wird der in seinem Opportunismus fast schon elegante Heckmann Generaldirektor der Europäischen Südsternwarte ESO. Von Hamburg-Bergedorf aus koordiniert er den Aufbau ihrer Beobachtungsstationen in der chilenischen Atacama-Wüste.

■ Ian Axford, ein Ritter aus NeuseelandIan Axford, am 2. 1. 1933 in Danevirke, Neuseeland, geboren, wird 1996 von der britischen Königin in den Ritterstand erhoben – nicht zuletzt für seine Rolle in der norddeutschen Astronomiegeschichte. 1974 zum Direktor des – letztlich aus der Nazi-Rüstungsforschung hervorgegangenen – Katlenburg-Lindauer Max-Planck-Instituts berufen, betreut Axford in der südniedersächsischen Provinz aufsehenerregende ESA-Missionen wie Giotto, die Sonde zum Halley’schen Kometen. Als die deutsche Wissenschaftspolitik für 2004 die Schließung der Einrichtung ankündigt, ist sie ganz überrascht, wie weltumspannend bekannt das Örtchen Katlenburg-Lindau inzwischen geworden ist – und lässt’s dann lieber doch.  BES