Die Knigge-Frage

Darf man die Schwangerschaft einer Kollegin kommentieren?

Gegenfrage: Wie war denn Ihr Sex letzte Nacht? Feucht, eher so blümchenmäßig oder wieder ganz ausgefallen? Wie, das ist Ihnen zu intim?

Hallo, du Doppelpack! – Na, ist das ein Mitbringsel von deiner letzten Recherche? – Ich mach dir gern einen Latte macchiato, aber entcoffeiniert. – Macht ihr keine Hausgeburt? – Man sieht ja gar nichts! – Kriegst du Zwillinge? – Willst du dich nicht setzen? – Setz dich! – Sorry, Rotwein-Soße gibt es nicht für Minderjährige. Dies ist eine willkürliche Auswahl der letzten Wochen.

Bei einer Hautkrankheit, einer sichtbaren Essstörung oder einem Fauxpas aus dem Kleiderschrank bleibt jeder Mensch halbwegs diskret. Aber wenn eine Kollegin mit zunehmend großem Bauch durch die Flure läuft, hagelt es im Vorbeigehen Kommentare.

Vielen scheint es schier unmöglich, einfach nur zu grüßen. Weil ihnen eine Schwangere wie der sprichwörtliche Elefant im Raum vorkommt, über den niemand reden darf?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Eine Schwangerschaft ist keine Krätze. Sondern etwas Wundervolles. Aber eben auch etwas Intimes, Einzigartiges, Stilles. Ach was, sagen Sie, alle Welt hat doch Kinder. Und Sie kennen da jemanden, bei dem … Und dann, in der 32. Woche ist Folgendes passiert … Interessiert nicht, glauben Sie mir. Mittagessen tut auch jeder, Fotos auf Facebook will dennoch keiner sehen.

Es ist ein bisschen wie beim Verliebtsein: Man platzt fast, man hat rosige Wangen, man trägt ein Geheimnis in sich. Aber man möchte dieses unbändige Glück dennoch nur mit den Allernächsten teilen.

Und seien Sie ehrlich: Sie wollen doch im Grunde gar nichts wissen. Nichts über Blähungen. Oder Verstopfung. Über Albträume, in denen Albinos auf die Welt kommen und Babys mit zwei Köpfen. Oder über plötzliche Tränenausbrüche, weil man zigmal mehr Hormone intus hat als damals in der Pubertät.

Manchen reicht es aber nicht, nur ihre Tipps, Kommentare und Erfahrungen loszuwerden. Manche langen einfach direkt hin. Wie sich so ein Baby im Bauch wohl anfühlt? Die BVG-Kontrolleurin, die einen gerade beim Schwarzfahren erwischt hat. Der Wartende an der Supermarktkasse. Oder der Kollege, der ebenfalls einen Acht-Monats-Bauch vor sich her trägt – ohne schwanger zu sein. Wenn Sie auch so ein Grapscher sind, sollten Sie besonders vorsichtig sein. Eine Schwangere kann da plötzlich ganz schön kapriziös werden. Sind wahrscheinlich diese Hormone.

Was ist eigentlich aus dem schlichten „Herzlichen Glückwunsch“ geworden? Zu oldschool? Zu banal? Glauben Sie mir: Im Zweifel sind Sie mit Ihrem lustigen Spruch immer eher der Zweihundertste und nicht der Erste. Lohnt also nicht. Und jetzt würde ich ganz gern wieder an die Arbeit. Ist ja nicht mehr lang … EMILIA SMECHOWSKI

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