Editorial

Im 21. Jahrhundert geht die Vorherrschaft Europas zu Ende. Wie einstweilen vor der imperialen weißen Eroberung der Welt werden neue Mächte in Asien, Lateinamerika und Afrika die alten Großmächte ergänzen – und, anders als früher, in Kenntnis voneinander. So sieht jedenfalls die optimistische Variante der kommenden Vollendung der Globalisierung aus.

Als Vorreiter dieser Entwicklung gelten die großen Schwellenländer, für die sich seit 2007 das Kürzel Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, später ergänzt durch Südafrika) eingebürgert hat. In ihnen lebt nicht nur knapp die Hälfte der Weltbevölkerung, sondern in ihnen findet auch knapp die Hälfte des weltweiten Wirtschaftswachstums statt. Sie überstanden die Finanzkrise von 2008/09 viel besser als die alten Industrienationen. Sie sehen sich als die Zukunft.

Für all diese Länder wird 2014 zum Schicksalsjahr. Die Olympischen Winterspiele und die Fifa-Fußballweltmeisterschaft werden für Russland und Brasilien Bewährungsproben vor dem Hintergrund aktiver Protestbewegungen. China und Südafrika stehen vor Jubiläen von Ereignissen, die zentral für ihre Identität sind, vor dem Hintergrund innenpolitischer Spannungen. Indien steht vor einem möglichen Machtwechsel mit unabsehbaren Konsequenzen.

Zugleich verlieren die Brics-Länder ihren Status als Lokomotiven des globalen Wachstums. Die USA und Großbritannien haben aus der Rezession herausgefunden, Deutschland sowieso, Japan möglicherweise; den Brics-Nationen drohen steigende Zinsen, Bankenkrisen und eine Kreditklemme. Sie sind zum ersten Mal in diesem Jahrhundert nicht mehr die Nummer eins für Investoren und Visionäre. Und hinter ihnen drängelt schon die nächste Generation von Aufsteigern – die Mint-Länder (Mexiko, Indonesien, Nigeria, Türkei), gefolgt von Bangladesch, Iran, Kolumbien, den Philippinen, Vietnam.

Geht die goldene Ära der neuen Mächte also bereits zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat? Die Aufholjagd der Brics ist ja längst nicht abgeschlossen. Auch das bisher Geleistete könnte nun aber in Gefahr geraten.

Fünf Personen aus den fünf Brics-Ländern werfen auf den folgenden fünf Seiten ihre jeweilige persönliche Sicht auf die Herausforderungen des kommenden Jahres. Von der Journalistin bis zur Abiturientin, vom Exilanten bis zur Schriftstellerin: sie alle eint die Überzeugung, dass ihre Länder sich verändern müssen – und die Gewissheit, dass Veränderung möglich ist. DOMINIC JOHNSON