Der zärtliche Revisionist

VATER UND SOHN Das Zeughauskino zeigt im Juli eine Doppelretrospektive der Filme von Max Ophüls und Marcel Ophuls. Inszenierung und Opulenz, Fragilität und Traum beim Vater, Realismus und Penetranz beim Sohn

Die Kombination von Bedeutendem und Beiläufigem erregt bei vielen Anstoß

VON BERT REBHANDL

Einer der letzten kakanischen Momente des kurzen 20. Jahrhunderts ist in dem Dokumentarfilm „Veillées d’armes – The Trouble We’ve Seen“ von Marcel Ophuls aufbewahrt. Auf dem Balkan herrscht 1993 ein Krieg, zu dem die alten mitteleuropäischen Schutzmächte Österreich und Deutschland nicht unwesentlich beigetragen haben. Der Regisseur hat sich auf dem Weg nach Sarajevo in Wien im Hotel Bristol eingemietet, die Kamera ist immer dabei. Eine Dame, die er sich auf das Zimmer bestellt hat, räkelt sich unbekleidet auf dem Bett. Doch Ophuls nützt den Aufenthalt neben den erotischen Vergnügungen auch zu einer kleinen Geschichtsstunde.

Er sieht den Film „Von Mayerling bis Sarajevo“, den sein Vater Max Ophüls 1939 kurz vor der deutschen Eroberung von Paris gedreht hatte, aber dann wegen der Judengesetze nicht mehr herausbringen konnte: eine melodramatische Haupt- und Staatsaktion in Schwarzweiß, die mit einer tragischen Liebesgeschichte auf die „geistigen und politischen Probleme“ des Habsburgerreichs zielte. Der Kronprinz Franz Ferdinand war für Max Ophüls der verhinderte Modernisierer, der schon Ende des 19. Jahrhunderts die Ideen hatte, die Ende des 20. Jahrhunderts vielleicht den Balkankrieg hätten verhindern können. Eine Staatenföderation nach dem Vorbild der USA, daran dachten in der Epoche des europäischen Nationalismus nur Intellektuelle und Träumer.

Die Schlüssel des Vaters

In diesem Bezug auf ein Schlüsselwerk seines Vaters Max ist fast alles erkennbar, was den Filmemacher Marcel Ophuls ausmacht: ein Sinn für das Historische, der sich auch auf die Fiktionen erstreckt, die sich die Menschen davon machen; eine Bereitschaft zur anstößigen Selbstinszenierung als großes Ego; ein bohrendes Interesse, die Mythen der europäischen Nachkriegsordnung so zu hinterfragen, wie sein Vater als Chronist die uneingelösten Hoffnungen des 19. Jahrhunderts hinterfragt hatte.

1927 in Frankfurt/Main als Sohn des Spielfilmemachers Max Ophüls geboren, wurde Marcel so etwas wie der zärtliche Revisionist seines Vaters. In zwei Generationen einer europäischen Familie ist damit fast das ganze Kino enthalten – Inszenierung und Opulenz, Fragilität und Traum beim Vater, Realismus und Penetranz, Virilität und Analyse beim Sohn. Das Österreichische Filmmuseum in Wien hat im Mai diese beiden Positionen in einen Zusammenhang gebracht, nun ist diese Schau im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums zu sehen.

Ganz offensichtlich lässt Marcel Ophuls in „Veillées d’armes“ ein Faible für die heroischen Berichterstatter erkennen. Was er in Sarajevo findet, ist eben auch einer der letzten Momente der komplizierten Verkettungen, die schon seinen Vater interessiert hatten. Im ehemaligen Jugoslawien kam es noch einmal zu einer Explosion der nationalistischen Mythen, die sein Vater im Moment ihrer Konstruktion erfasst hatte. Dessen Meisterwerk „Lola Montez“ zeigt ein kulturelles Europa, das zwischen Repräsentation und Kleingeistigkeit sehr gegenwärtig erscheint.

Cholerischer Fragensteller

Die vielleicht folgenreichste Arbeit von Marcel Ophuls ist „Le Chagrin et la pitié“ (1969), eine schonungslose Dekonstruktion der französischen Nachkriegsidentität, die einseitig auf das Bild einer Nation im Widerstand gebaut worden war. Auch im Falle von „Hotel Terminus – The Life and Times of Klaus Barbie“ (1988) geht es eben nicht nur um den NS-Kriegsverbrecher, um den „Schlächter von Lyon“, sondern auch um den kontroversen Anwalt Vergés, der sich für den deutschen Verbrecher verwendet, weil er damit das koloniale Frankreich treffen möchte. In allen diesen Filmen tritt Ophuls immer wieder selbst ins Bild, teilweise als cholerischer Fragensteller, dann wieder als Charmeur, selten jedenfalls als Vertreter einer Objektivität.

In dem großen Essayfilm „Memory of Justice“ hat Ophuls sein Prinzip an den Rand des Scheiterns getrieben: Mehrere Geldgeber mit unterschiedlichsten Erwartungen waren da in ein Projekt involviert, in dem eine Rückschau auf die Nürnberger Prozesse mit Stellungnahmen zum Vietnamkrieg und vielen anderen Dingen zusammengebracht wurden. Der Begriff der Gerechtigkeit, von dem im Titel die Rede ist, erweist sich als vielfach gebrochen. Und das waren auch die Reaktionen auf den Film. Diskutiert wurde zum Beispiel eine sogenannte Saunaszene, mit der Ophuls nicht viel mehr zeigen wollte, als dass in Deutschland in den Siebzigerjahren im Alltag kaum einmal an die vielen Kriegsverbrecher gedacht wurde, die unbehelligt leben und arbeiten konnten.

Die Kombination von Bedeutendem und Beiläufigem scheint für viele Menschen eine anstößige Form für die Themen zu sein, die Marcel Ophuls sich zu eigen gemacht hat. Dabei trifft er so erst die Struktur des Historischen in seiner Gegenwärtigkeit. Wie schon sein Vater Max.

Programm unter www.dhm.de/kino/index.html