Aus der Tiefe des zweckfreien Raums

DEBATTE Was spricht alles dagegen, Sport als Bezirk der Gerechtigkeit, Wahrheit und Transparenz zu entwerfen? In der Mosse-Lecture an der Humboldt-Universität wurde beschwingt über Korruption im Sport diskutiert

Die Sportler müssten ausschließlich die Interessen des Spiels verfolgen. Das tut aber keiner

VON TIM CASPAR BOEHME

Der Termin war eigentlich gut gewählt, Spielpause bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Doch das drückende Sommerwetter war wohl verantwortlich dafür, dass sich am Donnerstag kaum mehr als vierzig Zuhörer im großen Senatssaal der Humboldt-Universität zur Mosse-Lecture einfanden, um über „Korruption im Sport“ zu diskutieren. Dankenswerterweise waren die Podiumsgäste so leidenschaftlich bei der Sache, dass keine betriebsbedingte Langweile aufkommen konnte.

Wo Sport ist, da ist heute auch Korruption“, eröffnete der an der FU lehrende Sportphilosoph Gunter Gebauer sein Referat mit einer für Philosophen eher untypischen Unschärfe. Erst im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass er eigentlich den professionellen Leistungssport im Blick hatte. Gebauer entwarf ein Bild vom Sport als Bezirk der Gerechtigkeit, Wahrheit und Transparenz mit dem Ziel, einen Gegenentwurf zur ansonsten korrupten Geschäftswelt zu schaffen. Durch Korruption werde dieser Freiraum untergraben und verliere seinen Charakter als zweckfreier Raum.

Die WM musste da erwähnt werden. Besonders im Fußball werde gegenwärtig so exzessiv Theater gespielt wie noch nie, um die Schiedsrichter zum Verteilen roter Karten zu bewegen. Doch selbst drastischere Maßnahmen sind längst obszöner Sportalltag. Wenn man, wie einst in Moskau, durch das Befeuchten des Rasens für eine erhöhte Verletzungsgefahr sorge, um eine stärkere Sehbeteiligung zu erzielen, bedeute dies eine Korruption der Chancengleichheit.

Allerdings sah Gebauer kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Das Beharren auf einer strikten Beachtung der Regeln allein könne nicht genügen. Sogar die Chancengleichheit sei in der Welt des Sports im Grunde völlig ungeregelt. Und selbst wenn im Fußball klare Regeln für Tore und Abseits gelten, werde das Prinzip Wahrheit durch die Schiedsrichter immer wieder verletzt und stoße so an die Grenzen menschlicher Wahrnehmung. Mit einem Seitenhieb auf die am Rand der WM geführte Diskussion über „elektronische Augen“ zur Unterstützung von Schiedsrichtern stellte Gebauer klar, dass sich Fragen dieser Art nicht durch Einzelbildanalysen beantworten ließen, schließlich seien dies bloß technische Artefakte. Man müsse vielmehr akzeptieren, dass es oft keine objektive Anwendbarkeit von Regeln gebe, sie seien von Interpretationen abhängig.

Korruption lässt sich also nicht verhindern. Man könne lediglich an die Intuition für Fairplay im Sport appellieren, dass es Sinn ergibt, sich an einem Sport zu beteiligen, der keinen Zweck außer sich selbst verfolgt. Sportler müssten demnach gewinnen wollen, den Gegner nicht persönlich angreifen und ausschließlich die Interessen des Spiels verfolgen, mithin sich dem Spiel unterordnen.

Ines Geipel waren diese Appelle nicht genug. In ihrem Beitrag ging sie zwar nicht direkt auf die Frage ein, welche Maßnahmen gegen Korruption ergriffen werden könnten, doch mit ihrer literarisch anspruchsvollen Schilderung der Karriere von Torwart Robert Enke, der im vergangenen November Selbstmord beging, gab sie zu verstehen, dass der Ausnahmespieler am korrupten System des Sport – zunächst im Doping-Alltag der DDR, dann im internationalen Profifußball – zerbrochen ist.

Auch die Position des Strafrechtlers Wolfgang Schild aus Bielefeld, der seiner Funktion als Bedenkenträger gemäß einwendete, dass man im Sport nicht von Korruption, allenfalls von Manipulation sprechen könne und es wenig sinnvoll sei, strafrechtlich im Sport zu intervenieren, wollte sie so nicht gelten lassen. Die Selbstheilungskräfte, die Schild beschwöre, habe der Sport gar nicht, weshalb er lediglich „Placebo-Gespräche“ führe. Schild hingegen blieb bei seiner Haltung, dass Eingriffe von außen die Idee des Sports zersetzten. Auch die Gesundheit der Sportler liefere kein Argument für Strafmaßnahmen, denn sonst müsse der Leistungssport an sich verboten werden, schließlich sei dieser alles andere als gesundheitsfördernd, wie schon Gebauer zu bedenken gegeben hatte. Der Ruf nach dem Staat sei im Sport eher Ausdruck von Verzweiflung.

Doping ist vermutlich ohnehin schon viel gesellschaftsfähiger, als eine empörte Sportöffentlichkeit gern wahr haben möchte. „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und da gehört der Leistungssport hin“, warf ein Gast aus dem Publikum ein. Selbst Manager seien heutzutage gedopt, um sich bei der Arbeit einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen. Dem hatte auch das Podium nichts entgegenzusetzen.