EIN HEISSES EISEN AUS BERLIN-MITTE UND LEIPZIG
: Der Traum von der fliegenden Bratwurst ohne Stütze und der Senf fürs Nationalgefühl

VON HELMUT HÖGE

Grillwalker werden den Männer genannt, die in Berlin-Mitte von einem Bauchladen aus Bratwürste verkaufen. Sie gehören zu den vielfotografierten Sehenswürdigkeiten der Stadt, erfuhr ich kürzlich aus einem Text der Süddeutschen Zeitung über die „Erfolgsgeschichte“ des Traggrill-Erfinder Bertram Rohloff. Ein Erfolgsgeschichte war es tatsächlich, aber nicht seine. Denn den Bauchgrill hat Peer Wagner aus Leipzig erfunden.

„Wagner hatte einen Traum vom Fliegen, wir haben ihn wahr gemacht!“, entgegnet Betram Rohloff nun auf Nachfrage. Wagner habe nämlich an seinem „Bratwurstbauchladen“ eine versteckte Stütze eingebaut gehabt, die durch das Hosenbein in den Schuh des Verkäufers führte. Das aber wird von Ordnungsämter bemängelt. Denn wenn ein Grill den Boden berührt, braucht der Verkäufer eine Standgenehmigung. Erst der von ihm 1998 erfundene „Grillwalker“ käme ohne Stütze aus, so Rohloff.

Ich hatte Wagner schon 1995, ein Jahr nachdem er seinen „Bratwurstbauchladen“ patentiert hatte, interviewt. Damals hatte er mir nichts von einer „versteckten Stütze“ gesagt. Jetzt darauf angesprochen, gibt er es zu. Allerdings würde er heute ebenfalls „Bratwurstbauchläden“ ohne Stütze anbieten – für Orte, in denen die Ämter besonders pingelig seien. Seine Konstruktion sei zudem insgesamt leichter geworden, so dass auch Frauen sie tragen könnten. Seine früheren „Bratwurstbauchläden“ seien ohne Stütze zu schwer gewesen, man konnte sie den Verkäufern eigentlich nicht zumuten.

Auch Wagner ist „bei Touristen und Einheimischen beliebtes Leipziger Original“. Das behauptete jedenfalls der Spiegel, der ihn ebenso wie Die Zeit 2006 interviewte: Da hatte er – rechtzeitig zur WM in Deutschland – einen schwarz-rot-goldenen Senf erfunden, den er „Deutschlandsenf“ nannte und als „Gebrauchsmuster“ schützen ließ. „Seit der Fußballweltmeisterschaft trauen sich die Menschen wieder, Deutsche zu sein“, sagte er in den Interviews.

Seinen „Bratwurstbauchladen“ hatte Wagner bereits kurz nach der Wende ausgetüftelt – angesichts wachsender Fastfood-Konkurrenz und immer seltener erteilter Imbissstand-Genehmigungen. Er bot den Grill Arbeitslosen an samt „Lizenzvertrag“ und „Gebietsschutz“, auf Wunsch auch mit einem „Wurstliefervertrag“.

Wagners Geschäftsidee funktionierte, man kann vielleicht sogar sagen, zu gut. Schon 2004 berichtete die Süddeutsche über einen „Bratwurst-Krieg in Leipzig“: Dort brieten immer mehr „neue Selbständige“ Würste auf der Straße, einige mit zum Grill umgebauten Fahrrädern oder vom Rollstuhl aus, obwohl sie nicht behindert waren. Die Stadtverwaltung griff ein: Sie verloste neun Stellplätze – und dabei ging ausgerechnet Peer Wagner leer aus. Der „geistige Vater der mobilen Bratwurst“ (SZ) protestierte. Die zuständige Amtsleiterin entgegnete, man könne für ihn „keine Extrawurst braten“, dann ruderte sie aber auf „Duldung“ zurück.

Zu Wagners „Franchisenehmern“ hatte anfänglich auch der zuvor arbeitslos gewordene Hotelangestellte Bertram Rohloff gehört. Anscheinend hatte er dann einige Verbesserungen an der Wagner’schen Konstruktion vorgenommen und war damit selbst zum „Franchisegeber“ geworden, der nun seine eigenen „Grillwalker“ in Berlin auf die Straße schickte.

Als die deutsche Fußballmannschaft jetzt in Südafrika das Achtelfinale erreichte, rief ich erneut Peer Wagner an und fragte ihn, ob er noch immer den „Deutschlandsenf“ im Angebot habe. Ja, sagte er, das neue, seit der letzten WM entstandene, „gesunde Nationalbewusstsein“ habe jedoch beim Bratwurstverkauf auch Nachteile: „Der Umsatz hängt direkt vom Spiel der deutschen Mannschaft ab. Nach dem ersten Spiel – gegen Australien – gab es zwar einen enormen Schub, aber der hielt sich leider nicht.“ Seit dem Spiel gegen England laufe es jedoch zum Glück wieder wie geschmiert.