Geschäft mit Hüften

Vorbild al-Dschasira: Nach den Nachrichtensendern haben sich in der arabischen Welt nun die Popmusikkanäle etabliert. Ihr Erfolgsrezept: westliches Konzept, orientalische Inhalte

Aus BeirutALFRED HACKENSBERGER

Alles erinnert ein bisschen an Baywatch, wenn die Stars der arabischen Popszene Haifa Wehbe oder Nancy Ajram durch ihre Videoclips tanzen und singen. Die Oberweite stimmt, höchst silikonverdächtig, dazu dunkle, „tiefsinnige“ Augen, übervolle Lippen und die wackelnden, üppigen Hüften. Für Nabil Dajani, Soziologieprofessor der Amerikanischen Universität Beirut, ein gutes Beispiel für den Kitsch, der auf den sieben arabischen Musikkanälen Tag für Tag dargeboten wird. „Was man da zu sehen bekommt“, sagt der Medienspezialist, „mindert den Standard der Zuseher und appelliert nicht an den Intellekt, sondern an die Instinkte.“ Man habe sich das Schlechteste aus dem Westen, nicht das Beste abgeguckt.

Eine Kritik, die konservativen Muslimen noch viel zu zahm ausfällt. Für sie kommen die lasziven Bauchtanzeinlagen von Nancy Arjram dem Untergang aller guten Werte gleich. 2003 verbot das ägyptische Parlament die Ausstrahlung ihrer anstößigen Videoclips auf allen staatlichen Fernsehsendern, doch da war es längst zu spät: Seit das Satellitenfernsehen durch seine immense Reichweite in den 80er-Jahren eine Medienrevolution mit unzähligen TV-Kanälen in der arabisch-islamischen Welt auslöste, sind die Zeiten der staatlichen Kontrolle vorbei.

Millionen vom Prinz

Der eigentliche Boom des arabischen Fernsehens begann aber erst vor wenigen Jahren, zuerst mit dem Nachrichtensender al-Dschasira, danach mit dem zweiten großen News-Channel al-Arabia. Der Einmarsch der USA in Afghanistan sorgte für das Bedürfnis nach anderen, nicht westlichen Nachrichten. Heute will das TV-Publikum nicht nur andere News, sondern auch in allen anderen Bereichen die eigene, arabische Perspektive.

Über die Hüter der Moral jedweder Couleur kann Patrick Goulam, der junge Marketing-Manager von Rotana TV, nur lachen. „Hier geht es doch in erster Linie nur ums Geschäft“, sagt der 32-jährige in seinem Büro im 11. Stock, von dem er einen atemberaubenden Blick über die Innenstadt von Beirut hat. Goulam arbeitet für eine der erfolgreichsten arabischen Musik- und Medienfirmen. 1987 wurde Rotana als Plattenfirma gestartet und entwickelte sich über die Jahre zu einem Konzern mit verschiedenen Radio- und Fernsehstationen, einem eigenen Magazin und Bookingagentur. Prinz al-Waleed Ben Talal Abdel Aziz aus dem Königshause Saud und seine Millionen machen es möglich.

2003 wurde das Rotana-Musikprogramm gestartet und bedient alle erdenklichen Zielgruppen. Neben einem Sender für traditionelle arabische Musik gibt es unter anderem Musik speziell für die Golfregion und verschiedene Popstationen für die junge Generation. „In nur wenigen Jahren“, erklärt Patrick Goulam, „sind wir zu einem der Marktführer in der arabischen Welt geworden.“ Besonders beliebt ist Rotana in den Golfstaaten. Im Jahr 2005 erreichte der Musiksender in Saudi-Arabien Einschaltquoten von bis zu 73 Prozent. In Bahrain, Katar oder Kuwait waren es dagegen nur zwischen 8 und 14 Prozent. Zusammen mit seinem Filmprogramm gehört Rotana zu den fünf beliebtesten TV-Sendern in der arabischen Welt.

„Melody Hits“, „Nagham“, „ART Music“, „Dream“ und „Mazzika“ heißen die Konkurrenten von Rotana, die alle 24 Stunden nonstop Videoclips zeigen. Sie sind weltweit über die Satelliten Nilesat oder Arabsat zu empfangen. Zielpublikum sind die etwa 300 Millionen Muslime, die im Mittleren Osten und Nordafrika leben. Entsprechend werden vorwiegend arabische Künstler promoted, deren Songs in der Regel aus einer Mischung von westlichem Pop und traditioneller arabischer Musik bestehen.

Auch die Inszenierung der Videos beinhaltet immer arabische Elemente, sei es nur Bauchtanz oder einen Plot arabischer Provenienz. Die Ästhetik erinnert sehr oft an Rapvideos mit Luxusambiente im Hotel, einer Villa, am Strand, dazu Statussymbolen von teuren Autos bis Uhren. Die Texte sind in der Regel so einfach, dass sie überall verstanden werden, obwohl es oft von Land zu Land verschiedene Dialekte gibt. Vorreiter für einen allgemein verständlichen Code waren und sind die stets präsenten ägyptischen Filme, die als panarabische Sprachschule fungieren.

Über die Jahre hat sich so eine eigenständige Welt aufgebaut, mit Starlets, Klatsch und entsprechenden Skandalen. Alles gänzlich unabhängig vom Pop-Westen. In den 1970er-Jahren war das noch anders. Damals hörten arabische Jugendliche Eagles, Led Zeppelin oder Pink Floyd. Man wusste, was angesagt war.

Wer sind Coldplay?

Heute interessiert das kaum einen mehr. Marokkanische Jugendliche kennen gerade mal Madonna und Michael Jackson. Bei U2 oder den Rolling Stones wird es schon schwierig, bei den Babyshambles oder selbst Coldplay ist es ganz aus. Als Defizit empfindet das niemand, sie sind stolz auf ihre eigene arabische Welt von Glanz und Glorie, mit ihren eigenen Stars, ihrer eigenen Musik und eigenen TV-Sendern. Man weiß, wer Waifa Wehbe, Ruby, Nancy Ajram oder Abdel Rahman ist, kennt die neuesten Geschichten über sie und hat die neusten CDs.

So ist mit Musikkanälen mittlerweile viel Geld zu verdienen. Genaue Zahlen werden, wie im Medienbereich auch sonst generell üblich, nicht bekannt gegeben. Die Bilanz bleibt nur den obersten Chefs und Eigentümern vorbehalten. Die Medien- und Business-Zeitschrift ArabAd errechnete für das Jahr 2004 einen Wachstum von 1,6 Milliarden Dollar im Werbemarkt aller panarabischen TV-Sender. Gemessen an Europa oder den USA dürfte das vielleicht wenig klingen, aber die Branche ist erst dabei, sich zu entwickeln. Kein Wunder also, dass auch MTV für 2007 einen arabischen Ableger auf Sendung bringen will, „der auch die religiösen Gepflogenheiten der Muslime beachtet“.