Lettlands Merkel

„Ich hoffte, dass dieser Kelch noch an mir vorübergeht“

LAIMDOTA STRAUJUMA

Laimdota Straujuma hat sich nicht zu dem Amt gedrängt, das sie formal wohl nächste Woche übernehmen wird. „Ich hoffte ja, dass dieser Kelch noch an mir vorübergeht“, erklärte sie am Sonntag nach der Nominierung durch die liberal-konservative „Einheitspartei“. Das kann man der 62-jährigen Lettin glauben. Welcher Politiker will schon gern Übergangslösung auf dem Sessel des Regierungschefs für einen von vorneherein auf neun Monate begrenzten Zeitraum sein?

Den gilt es in Lettland bis zu den Parlamentswahlen im Herbst zu überbrücken, nachdem Premier Valdis Dombrovskis Ende November hingeschmissen hatte. Offiziell erfolgte dieser Schritt, um die politische Verantwortung für einen Supermarkteinsturz zu übernehmen. Der wahre Grund scheint zu sein, dass seine Regierung keine Mehrheit mehr hatte und er mit dem Rücktritt seine Chancen im Oktober erneut als Spitzenkandidat anzutreten, erhöhen will. Landwirtschaftsministerin Straujuma, die auf dem Land aufwuchs und von lettischen Medien mit Angela Merkel verglichen wird, gilt als bescheiden und bodenständig. Im bisherigen Kabinett spielte sie eine unauffällige Rolle. Was qualifiziert sie für dieses Amt?

Sie sei promovierte Ökonomin und habe ihr schwieriges Landwirtschaftsressort gut verwaltet, beantwortete Präsident Berzins diese Frage. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass vorher ein halbes Dutzend andere Kandidaten, die die Dombrovskis-Nachfolge hätten übernehmen können, entweder dankend abgelehnt hatten oder dem Staatspräsidenten nicht passten.

Bevor Straujuma 2011 von Dombrovskis ins Kabinett geholt worden war, arbeitete sie als Beamtin mehr als ein Jahrzehnt in verschiedenen Ministerien. Zu Sowjetzeiten war sie nach einem Physik- und Mathematikstudium im landwirtschaftlichen Fachbereich der lettischen Wissenschaftsakademie tätig. Die erste Frau an der Spitze der Regierung in einem Baltenstaat, die „eigentlich nie in die Politik gehen wollte“ und als Hobby „meine sechs Enkelkinder“ nennt, bezeichnet nun als ihre wichtigste Aufgabe, „Stabilität zu wahren“.

Die bisherige Koalition will sie mit der „Partei der Grünen und Bauern“ um eine vierte Partei erweitern. Damit gibt es vor den nächsten Wahlen in Lettland klare politische Fronten zwischen den Mitte-rechts-Regierungsparteien und der linken Oppositionspartei „Harmonie“.

REINHARD WOLFF