Künstliche Kontroversen

Norman G. Finkelstein kämpft engagiert gegen den „Antisemitismus als politische Waffe“, argumentiert dabei aber ein wenig zu schlicht

„Boykottiert Israel! Waren, Kibbuzim und Strände!“ prangte früher auf den besetzten Häusern in der Hamburger Hafenstraße. An der Parole entzündete sich ein heftiger politischer Streit über Antisemitismus in der Linken. Heute haben sich die meisten Gruppen, die sich damals stritten, längst aufgelöst, die Reaktionen auf die Gretchenfrage „Wie hältst du es mit Israel?“ fallen jedoch unverändert starr und heftig aus.

Es gibt wohl kaum ein Thema, das in der deutschen Gesellschaft so unversöhnliche Positionen zutage fördert wie die Politik des Staates Israel. Und die Linien dieser Auseinandersetzung verlaufen quer zu den sonstigen politischen Formationen: Die verordnete Israel-Sympathie der Springer-Presse trifft sich mit scharf antideutschen Positionen, realsozialistische Antiimperialisten argumentieren mit Formeln, die auch rechtskonservativen Antizionisten leicht von den Lippen gehen.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein bezieht mit seinem Buch „Antisemitismus als politische Waffe“ in diesem Konflikt erneut engagiert, aber nicht sonderlich überraschend Stellung gegen die israelische Politik. Denn sie mache durch die „brutale Unterdrückung der Palästinenser“ den „echten Antisemiten“ das Geschäft leicht. Dass Finkelstein für die deutsche Ausgabe ein eigenes Vorwort verfasst hat, signalisiert: Er ist sich der Bedeutung dieses ganz besonderen Marktes für sein Werk bewusst. Offenbar ohne tiefere Kenntnis der Verhältnisse im Lande vermerkt er, dass „Deutschland, einst die europäische Brutstätte des Antisemitismus, sich inzwischen zu einer Brutstätte des Philosemitismus entwickelt“ hat.

Der Inhalt dieses Vorworts für die deutsche Ausgabe ist charakteristisch für das ganze Buch: Finkelstein vertritt mit seinem ganzen bitteren Ernst die These, dass es eigentlich keinen Grund zu Kontroversen über den israelischen-palästinensischen Konflikt gebe, da sich die meisten Historiker über dessen Genese einig seien und die meisten politischen und rechtlichen Institutionen auch genau wüssten, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um den Konflikt zu lösen. Die Kontroversen würden also „überwiegend künstlich herbeigeredet, und zwar von denen, die Israel blind verteidigt sehen wollen“.

In erster Linie denkt Finkelstein dabei an den Strafverteidiger und Harvard-Professor Alan Dershowitz, dessen Streitschrift „Plädoyer für Israel“ er im zweiten Teil seines eigenen Buches minutiös widerlegen will. Dieses Unterfangen ist für die LeserInnen recht ermüdend. Im ersten, zumindest für deutsche Leser interessanter erscheinenden Teil möchte Finkelstein die Behauptung widerlegen, es gebe einen wachsenden Antisemitismus.

In diesem Zusammenhang attackiert er Nichtregierungsorganisationen wie die Anti-Defamation League, Intellektuelle wie die Psychologieprofessorin Phyllis Chesler oder auch Kofi Annan, dem er ankreidet, die Einzigartigkeit des Holocaust postuliert zu haben, obwohl er „angesichts der Tatsache, dass Afrika gegenwärtig von Hunger, Krankheit und Krieg heimgesucht wird, vielleicht Wichtigeres zu tun hätte, als die internationale Gemeinschaft auf die Einzigartigkeit des Holocaust einzuschwören“. Im Detail argumentiert Finkelstein oft genau und arbeitet so Verzerrungen und Fälschungen mancher Israel-FreundInnen heraus. Der politische Gewinn seiner Arbeit ist jedoch gering, da er sich mit der palästinensischen Seite nicht entfernt so kritisch auseinander setzt und damit sein Bild von dem Konflikt verfälschend wirkt.

Vor allem fallen aber seine politischen Analysen und Lösungsvorschläge so schlicht aus wie seine Überlegungen zum Verhältnis von Armut in Afrika und der Einzigartigkeit des Holocaust. Sein Buch durchzieht etwa die durch keine konkreten Fakten erhärtete These, dass ein Rückzug Israels den „wahren“ Antisemiten mit einem Schlag den Boden unter den Füßen wegzöge.

Es ist schon erstaunlich, wie ein Politologe, der sein akademisches Leben dem Kampf gegen den Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs als politische Waffe widmet, das Wesen des Judenhasses verkennen kann. Dabei könnte er doch zumindest reflektieren, dass die schlimmste Verfolgung von Juden stattfand, als eine israelische Besatzungspolitik noch nicht einmal vorstellbar schien. OLIVER TOLMEIN

Norman G. Finkelstein: „Antisemitismus als politische Waffe“. Aus dem Amerikanischen von Maren Hackmann, Piper, München 2006, 388 Seiten, 19,90 Euro