Die Passion Cristiano

Nach dem bösen Foul des Holländers Boulahrouz kann der portugiesische Ronaldo heute gegen England antreten. Der 21-Jährige ist das Sorgenkind seines Landes – und könnte doch zum zweitteuersten Fußballer der Geschichte werden

MARIENFELD taz ■ Kann er spielen oder nicht? Das ist die Frage, die Portugal die gesamte Woche in Atem hielt. „Eine Mannschaft, ein Land wartet auf Cristiano Ronaldo“, schrieb das Sportblatt A Bola, und auch die anderen Medien widmeten sich ausgiebig dem jungen Helden. Schließlich galt es, den Fußballfreunden am Rande Europas ihre Lieblingsbeschäftigung zu ermöglichen: Leiden mit Cristiano.

Am Sonntag konnte man dem bis zum Herzzerreißen frönen. Hollands Trainer Marco van Basten hatte vor dem Achtelfinale in Nürnberg den 21-Jährigen als gefährlichsten Gegner angegeben – und die Fußballer der Oranje sensten den Flügelflitzer um. Mit den Stollen voraus sprang ihm Verteidiger Boulahrouz vom Hamburger SV in den muskulösen Oberschenkel. Verzweifelt versuchte der Gefoulte, durchzuhalten, wollte einfach nicht wahrhaben, dass es sinnlos war. Bevor die Passion Cristianos zu Ende ging, zeigte er der Welt noch in einer Aktion, was sie verpassen würde: Er trat den Ball zum Kollegen, indem er das Schussbein hinten am anderen vorbeikreuzte. Dann schlich er vom Feld, und seine Tränen gingen um die Welt.

In der Heimat werden viele mitgeheult haben, anderswo vermutlich auch. „Er hat bekommen, was er wollte“, sagte das Opfer nach dem Duschen über den Holländer. Dass er sich seine diamantenen Ohrringe noch nicht angelegt hatte, konnte als klares Zeichen der Niedergeschlagenheit gedeutet werden. „A Paixão“, die Leidenschaft, blüht im iberischen Seefahrervolk für keinen so schön wie für ihn. Cristiano ist ein halbes Kind, ein Sorgenkind genauer gesagt. Zum Auftakt gegen Angola setzte es eine frühe Auswechslung, gegen Mexiko schonten sie ihn wegen einer drohenden Sperre, nur dazwischen gegen Iran dribbelte er nach Belieben, wie so oft mit vielen Übersteigern und Schnörkeln, und auch gerne dann, wenn ein Kollege besser stand. Die Mitspieler verzweifeln oft an seinem Eigensinn, aber weil er hochtalentiert ist und eigentlich ein guter Kerl, fördern und schützen sie ihn auch. Gegen Iran ließen ihm Figo und Deco Vortritt beim Elfmeter und herzten den Torschützen innig.

So richtig gezeigt hat er noch nicht, was er draufhat, heute gegen England soll es endlich gelingen. Der Bluterguss heilt ab, Cristiano Ronaldo kann wohl mittun im Viertelfinale gegen die Auswahl des Landes, in dem er seit drei Jahren lebt. Es verspricht ein ereignisreiches Wochenende zu werden. Am Sonntag wird bei Real Madrid der neue Präsident gewählt, ein aussichtsreicher Kandidat wirbt mit Ronaldos Ankunft um die Stimmen der Mitglieder.

Juan Miguel Villar Mar, ein Anwalt und früherer Wirtschaftsminister Spaniens, tritt im Gespann mit dem früheren Rallyeweltmeister Carlos Sainz an und soll dem Offensivmann 20 Millionen Euro für vier Jahre Dienst geboten haben. Der Umgarnte ist einverstanden, müsste allerdings den bis 2010 laufenden Vertrag bei Manchester United noch auflösen. Angeblich ist Villar Mar bereit, 65 Millionen Euro Ablöse an die Engländer zu überweisen, was Ronaldo zum zweitteuersten Fußballer der Geschichte machen würde – nach Zidane, der einst für 75 Millionen Euro von Juventus Turin zu den Königlichen stieß. Ein Wechsel zu Spaniens Krösus wäre der logische Karriereschritt für Ronaldo. Bei Real tummeln sich die Reichen und Schönen wie David Beckham, dessen Nummer 7 er bei ManU übernahm. Ronaldo ist im Starsystem des Fußballs schon jetzt eine kleine Version des Spiceboys, in Portugal ist er Werbe-Ikone Nummer eins und der Lieblingsdarsteller der Regenbogenpresse. Der Adonis mag es, cool aufzutreten, mit 21 ganz normal. Seine Freundin ist eine schöne portugiesische Fernsehansagerin, knapp zehn Jahre älter.

Die Schattenseiten des VIP-Status kennt er auch schon. Eine Französin erhob Anklage wegen Vergewaltigung, er wurde verhaftet, dann stellte sich heraus, dass sie nur seinen Ruhm und Reichtum nutzen wollte. Gegnerische Fußballer und Fans foulen und provozieren ihn, bei einem Gastspiel mit United bei Benfica Lissabon nervten sie den Burschen so lange, bis er den Stinkefinger zückte. Der Druck steigt mit der Popularität, aber er komme ordentlich damit klar, findet Landsmann Paolo Futre, der mit 20 bei der WM 1996 in Mexiko Ähnliches erlebte: „Ronaldo ist ein reiferer Sportler, als ich es damals war“, sagt er, „ich war in seinem Alter noch nicht im Ausland, er hat schon drei Jahre in einem europäischen Topklub verbracht und eine EM gespielt. Das ganze Land erwartet viel von ihm, das ist nicht leicht.“ Es ist nicht leicht, Cristiano Ronaldo zu sein – vor allem tut es ganz schön weh. RALF ITZEL