Babylon Europa

VIELFALT Mit 27 Mitgliedstaaten und 23 Amtssprachen ist die EU für Dolmetscher und Übersetzer eine Jobmaschine. Was aber heißt der Sprachsalat für BürgerInnen, die nicht in Institutionen arbeiten?

In den Szenen der Metropolen wird eine Sprachvielfalt gelebt, von der selbst Brüssel nur träumen kann

Ein Drittel der MitarbeiterInnen im Europäischen Parlament sind damit beschäftigt, simultan zu plappern oder Papiere in die 506 möglichen zweisprachigen Kombinationen zu übersetzen.

Was aber noch wichtiger ist: Diese Vielfalt, die Multilingualität, bedeutet Gleichberechtigung. Denn jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger hat per Gesetz das Anrecht darauf, die Institutionen der Europäischen Union in seiner Heimatsprache zu kontaktieren und in dieser auch eine Antwort zu erhalten. Um das zu gewährleisten scheut das Europa der EU keine Mühen und Kosten und beschäftigt allein täglich 2.000 ÜbersetzerInnen und 80 DolmetscherInnen, damit die Geschäfte im EU-System reibungslos und unmissverständlich vonstatten gehen. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das einen jährlichen Kostenaufwand von 2,30 Euro pro UnionsbürgerIn. Ein Schnäppchenpreis, wenn man bedenkt, was man dafür im Gegenzug erhält – Vielfalt. Was wäre Europa ohne ihren Multikultisprachfaktor für ein trauriger Fleck. Die Wertschätzung der Sprachen ist so normiert wie die Regulierung der Längen von Salatgurken, die in den Verkauf gelangen sollen.

Die Charta der Grundrechte garantiert die Achtung der sprachlichen Vielfalt. Doch die Kommunikationssprachen der EU-PolitikerInnen und Beamten in den politischen Organen sind – wie nicht anders zu erwarten – Französisch, Englisch und Deutsch. De facto bedeutet das, dass trotz der Unionsbemühungen, allen Sprachgruppen das Gefühl zu geben, gleich zu sein, manche eben doch gleicher sind als andere.

Im Alltag unterhalb der institutionellen Gefüge kristallisiert sich ohnehin eine gut funktionierende Kommunikation heraus. So existieren in den Mikrokosmen der städtischen Kieze multilinguale Milieus, die, wie in London heutzutage oder im Vilnius der Zwanzigerjahre, eine Fähigkeit zur sprachlichen Durchmischung leben.

Für europäische Belange könnte das bedeuten: Das Babylonische des heutigen Europas ist kein Hindernis der Verständigung, sondern eher eine Chance. Über dieses utopische Vermögen wird auf dem taz.lab 2014 zu sprechen sein. CANSET ICPINAR