St. Pauli, deutsche Meisterin

Die Rugby-Frauen des Kiez-Clubs holen gegen Germania List Hannover ihren sechsten Meistertitel. Garant für den neuerlichen Erfolg ist eiserne Disziplin, bis hin zum Verpassen des Klinsi-Krimis

Von Christian Görtzen

St. Pauli steht tief in der eigenen Spielhälfte, der Gegner SC Germania List drängt mit Macht auf den Ausgleich. Die Zeit der Höflichkeiten ist längst vorbei zu Beginn der zweiten Halbzeit, beim Stand von 12:5 für die Hamburgerinnen im Endspiel um die deutsche Meisterschaft – auch an der Seitenlinie. Im Frauen-Rugby gehört die rustikale Sprache dazu. „Mensch Susanne, das darf doch wohl nicht wahr sein! So eine Scheiße!“, entfährt es Jens Michau, Trainer des FC St. Pauli, beim Anblick eines gescheiterten Entlastungsversuchs.

Die Wortwahl passt nicht eins zu eins zum optischen Eindruck, den die rund 1.000 Zuschauer auf der Sportanlage an der Hamburger Saarlandstraße von dem grauhaarigen Herrn mit den milden Gesichtszügen gewinnen könnten. In seinem beigefarbenen Nadelstreifenanzug und dem weißen Hemd, um dessen Kragen er eine blau-grüne Krawatte gebunden hat, wirkt Michau wie ein Elder Statesman des Rugby-Sports. Er ist sichtlich darum bemüht, stets Contenance zu bewahren, doch manchmal bricht es aus ihm heraus. Es steht eben zu viel auf dem Spiel.

Zum zwölften Mal in Folge haben die Powerfrauen des ansonsten alles andere als erfolgsverwöhnten FC St. Pauli das Finale um die deutsche Rugby-Meisterschaft erreicht. Fünfmal durften sie in den vergangenen Jahren feiern. Und auch dieses Mal sieht es wieder aus, als sollten die kräftigen Frauen in den braun-weißen Trikots das bessere Ende für sich haben. Die Gäste aus Hannover stehen zwar kurz davor, dem durchschnittlichen Finale noch einmal eine Wende zu geben, aber es will ihnen partout nicht gelingen. Der Favorit St. Pauli wankt, fällt aber nicht.

Michau reicht das nicht aus. Er beschwört höhere Mächte, als sich seinem Team die Chance bietet, das Spiel vorzeitig zu entscheiden. Mit gekreuzten Fingern hält er sich an der Seitenlinie etwas im Hintergrund auf. Die Spielerinnen beider Teams verhaken sich derweil auf dem Rasen zu einem großen Knäuel, das mal in die eine, mal in die andere Richtung geschoben wird. Gelingt es den St.Pauli-Spielerinnen, das Rugby-Ei über die Mallinie in das gegnerische Malfeld zu legen, wäre das ein „Versuch“ und würde mit fünf Punkten belohnt werden. Zudem böte sich ihnen dann die Chance, mit einem Kick durch die Torstangen zwei Zusatzpunkte zu erzielen.

Germania List befreit sich jedoch aus der misslichen Lage. Jens Michau löst seine Zeigefinger wieder aus der Umklammerung. Er zieht die Augenbrauen hoch, zuckt kurz mit den Schultern und wirkt dabei fast wie Rudi Völler, der nach dem EM-Aus 2004 in Portugal vor der Kurve mit den deutschen Fans stand und auf nonverbale Weise etwas zum Ausdruck brachte, was er auch jedem Zuschauer einzeln hätte sagen können: „Tja, es sollte nicht sein.“

Zwei Meter von Michau entfernt steht Jörg Hackenbroich. Der stellvertretende Spartenleiter des SC Germania List, der in seinem Outfit aus Camouflage-Hose, T-Shirt, Schlapphut und Sonnenbrille wie ein Gegenentwurf zu Michau wirkt, hadert mit dem Schicksal. „Dafür, dass die Schiedsrichterin aus dem Mutterland des Rugby-Sports kommt, pfeift sie nicht so gut. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Hackenbroich.

Zehn Minuten später ist jede Hoffnung dahin. St.Pauli gelingt das 17:5. Kurz darauf ertönt der Abpfiff. Hackenbroich spricht fair von einem verdienten Sieger. Michau feiert seinen dritten Titel als Trainer. Für die Rugby- Sparte des FC St. Pauli ist es die sechste Meisterschaft. Es gebe zwei Erklärungen für die Erfolge der vergangenen Jahre, sagt Michau. „Zum einen gibt es bei uns ein gutes Klima zur Förderung des Frauensports, das den Verein zu einer reizvollen Anlaufstelle gemacht hat. Und zum anderen gibt es eine gute Jugendförderung“, sagt Michau, der als Grund für den Erfolg vor allem die größere mentale Stärke seines Teams anführte.

Sie haben auch auf einiges verzichtet in ihrer Vorbereitung auf das Endspiel. Als sich am Freitagabend ganz Deutschland auf die Verlängerung und ein Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale gegen Argentinien vorbereitete, räumten Michau und seine Spielerinnen ihre Plätze vor dem Fernseher. Um 19 Uhr war eine Trainingseinheit angesetzt – und die wurde auch nicht verschoben. Michau: „Ich bin eigentlich ein großer Fußball-Fan, aber für mich ist Rugby ein noch schönerer Sport.“