Im Schattenreich der Sugardaddys

USA Ohne Mäzene würde investigative Recherche zum Auslaufmodell. Das birgt große Chancen – aber auch Risiken

Was passiert, wenn plötzlich der Gönner selbst oder seine Firmen zum Gegenstand der Recherche werden

AUS NEW YORK PAUL HOCKENOS

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die meisten amerikanischen Medien – egal ob Zeitungen, Radiosender oder TV-Stationen – ihre Kosten nicht mehr durch Anzeigen oder Abos decken können. Der „Perfect Storm“ aus Internet-Revolution, Finanzkrise und der katastrophalen Entscheidung, online alles umsonst anzubieten, hat einige vormals stolze Adressen für guten Journalismus schlicht versenkt – und andere an den Rand den Ruins getrieben.

In dieser trostlosen Lage hat eine wilde Jagd nach Möglichkeiten und Modellen begonnen, um den unabhängigen Journalismus zu retten. Diese Unberechenbarkeit – und die noch längst nicht auserforschten Möglichkeiten des Internets – locken ein großes Aufgebot an reichen Abenteurern, Unternehmern, Mäzenen und Philanthrophen an. Ihre Motive könnten unterschiedlicher nicht sein: Einige wollen das schnelle Geld, andere lechzen nach Einfluss, und manche wollen wirklich dabei helfen, unabhängigen Journalismus vor dem Müllhaufen der Geschichte zu bewahren.

Der bekannteste und wichtigste Name in dieser schönen neuen Medienwelt ist der von Arianne Huffington, Chefin und Besitzerin der Huffington Post“, einem der größten Online-News-Lieferanten der Welt. Die HuffPost ist ein linkes Blog, auf dem täglich hunderte Beiträge anderer Medien und unbezahlter Blogger veröffentlicht werden, kommt auf 17 Millionen Clicks pro Monat und gehört zu den meistverlinkten Internetseiten.

Für die meisten seriösen Journalisten ist Huffingtons Unternehmung allerdings alles andere als eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Journalismus: „Es ist reine Abzocke“, sagt der Zeitungsveteran und Präsident des Overseas Press Club of America, David Andelman. Schließlich bezahle die HuffPost ihren Schreibern keinen Cent und präsentiere völlig unqualifizierte Leute als Experten. „Arianne Huffington hat mit einem ordentlichen Vermögen angefangen und zwei daraus gemacht“, sagt Andelman.

Doch insgesamt ist die HuffPost mit ihrer Anziehungskraft für Onlinewerbung eher die große Ausnahme. Andere profitorientierte Onlinedienste wie Politico, Tina Brown’s The Daily Beast und die auf Außenpolitik spezialisierte Global Post müssen weiterkämpfen, um aus den roten Zahlen zu kommen. Für Politico hat der 37-jährige Milliardär Robert Allbritton bei den ersten Adressen wie der Washington Post und dem Time Magazine journalistische Hochkaräter abgeworben. Und Politico macht kein Geheimnis daraus, dass die Anzeigenkunden aus denselben Interessengruppen – öffentlichen Unternehmen und vor allem Lobbyisten – stammen, über die man schreibt. Einige Politico-Blogs, wie das von Ben Smith, sind Pflichtlektüre in Washington. Präsident Obamas Stabschef liest sie angeblich vor allem anderen.

Was aber motiviert Menschen wie Robert Allbritton, hier große Summen zu versenken? „Geld und Einfluss“, sagt Andelman, obwohl die Onlinedienste wenig von beidem hätten. Kein Vergleich zur Schlagkraft echter Medienmogule vom Schlage Rupert Murdochs oder der Hearst-Zeitungsdynastie. Zumal alle diese modernen Möchtegern-Citizen-Kanes natürlich verhindern wollen, dass sich ihr Investment in Luft auflöst – und die daher anfällig für die Wünsche von Kunden und Werbepartnern sind.

Und so bleiben nicht profitorientierte, von Stiftungen oder Mäzenen unterstützte Medienunternehmen der bessere Weg. Eine Studie der American University bezifferte die Summe, die Stiftungen seit 2005 für lokale und investigative Recherchen bei solchen Non-Profit-Organisationen aufgebracht haben, auf 128 Millionen Dollar. „In einer Welt ohne Philanthropen und Stiftungen könnte die investigative Recherche bald verschwinden“, fasst ein Bericht der University of Southern California das Dilemma zusammen.

Der unangefochtene Superstar dieser Non-Profits ist ProPublica: Für seinen investigativen Journalismus gewann die Website im April einen Pulitzer-Preis – den ersten für ein Onlinemedium überhaupt. ProPublica ist das Werk des Milliardärehepaars Herb und Marion Sandler, die 2008 rund 30 Millionen Dollar zusicherten – und damit viele Konkurrenten grün vor Neid werden ließen. Die Sandlers lockten Paul Steiger mit einem über 250.000 Dollar schweren Jahressalär vom Wall Street Journal als Chefredakteur zu ProPublica. „ProPublica bringt Geschichten, die sonst gar nicht möglich wären, weil gerade diese Art von Recherche überall eingespart wird“, sagt Jim Naureckas vom New Yorker Medien-Watchdog Fair and Accuracy in Reporting (Fair). „ProPublica ist der Prototyp: Gib Geld an eine gute Redaktion und lass Profis damit arbeiten.“

Der Trick: ProPublica tut sich mit anderen Medien zusammen – zur beeindruckenden Liste nach gerade einmal knapp drei Jahren gehören die New York Times, das NBC-Magazin „60 Minutes“, The Nation und Reader’s Digest. Doch obwohl die Sandlers ProPublica über ihre Stiftung, die Sandler Foundation, alimentieren, bleibt die Frage, ob durch diese enge Verbindung zu einem privaten Geldgeber Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit beeinflusst werden.

Zumal das geschäftstüchtige, Kunst sammelnde Paar sein Geld nicht gerade auf die unumstrittenste Art verdient hat: Herb und Marion Sandlers Vermögen stammt von der Golden West Financial Corporation, die mit Einlagen in Höhe von 60 Milliarden Dollar und 12.000 Mitarbeitern zu den erfolgreichsten der USA gehörte. Fachmagazine beschrieben die Bank als „eine der produktivsten Gelddruckmaschinen des Planeten“. Ihr Hauptprodukt: Hypotheken. 2006 wurde Golden West für 24 Milliarden Dollar noch knapp vor dem Platzen der Subprime-Blase verkauft – rund 2,4 Milliarden gingen direkt an die Sandlers, die etwas mehr als die Hälfte des Geldes in ihre Stiftung einbrachten. Im Oktober 2008 parodierte die NBC-Comedy-Show „Saturday Night Live“ das Ehepaar als gierige Geldhaie; Überschrift: „People Who Should Be Shot“ (Menschen, die man erschießen sollte). Kurz nach der Ausstrahlung sorgten die Sandlers dafür, dass der Clip aus der Sendung von der NBC-Website verschwand. Auch gegen eine Schlagzeile der New York Times, in der sie wenig schmeichelhaft als Parias bezeichneten wurden, ging das Paar vor.

Die unerforschten Möglichkeiten des Internets locken reiche Abenteurer, Unternehmer und Mäzene

In Interviews betont ProPublica-Chefredakteur Steiger immer wieder, dass es einen eisernen Vorhang zwischen den Sandlers und der Redaktion gebe: „Sie und der Rest des Aufsichtsrats wissen nicht im Voraus, worüber wir berichten.“ Zudem dürfen sie sich nicht direkt an die ProPublica-Reporter wenden.

Auch andere Non-Profit-Medien betonen die strikte Trennung zwischen Geldgebern und der Redaktion. Denn obwohl viele Websites die Namen ihrer Gönner nennen, bleibe alles eine „schlüpfrige Angelegenheit“, sagt David Andelman: „Das Mäzenatentum beschränkt die Recherche und den Journalismus“ – ProPublica macht zum Beispiel an den US-Grenzen halt. In kleiner Runde geben auch ProPublica-Reporter zu, dass sie einer Reihe relevanter Themen nicht nachgehen könnten – weil diese nicht unter das „Mandat“ der Sandler Foundation fielen. Das Geschäftsgebaren von Golden West dürfte wohl dazugehören.

Die Fragen nach der Unabhängigkeit bleiben also – und gelten nicht nur für ProPublica und die Sandlers: Was passiert, wenn plötzlich der Mäzen oder sein Umfeld selbst Ziel von Recherchen werden? Und sollte deren Interesse plötzlich nachlassen – oder das Geld zu Ende gehen – könnten auch Organisationen wie ProPublica ganz schnell auf dem Trockenen sitzen. Kritiker monieren außerdem, dass durch solche philanthropischen Modelle Redakteure plötzlich zu professionellen Fundraisern mutieren – und eher die belohnt werden, die das meiste Sponsoring einwerben, als die, die besseren Journalismus machen. Allerdings dürfte es ohnehin schwer werden, das ProPublica-Prinzip im großen Stil nachzuahmen – einfach weil nur ein paar sehr vermögende Menschen in der Lage sind, so viel Geld einzubringen wie die Sandlers.

Dennoch, trotz aller Nachteile, macht sich die Erkenntnis breit, dass Mäzenatentum ein Weg ist, dem Tod des Qualitätsjournalismus ein Schnippchen zu schlagen – und ihn vielleicht sogar wieder auf solidere Füße zu stellen. „Heute haben Philanthropen die Rolle übernommen, die früher die Werbeindustrie spielte“, sagt Naureckas: „Und auch Anzeigenkunden hatten immer Einfluss darauf, was die Medien berichtet haben und was nicht“. Anders als die klassischen Werbekunden seien viele der reichen Gönner aber nicht in erster Linie auf Profit aus – „vielleicht ist es also wirklich besser so.“ Auch für David Andelman liegt zumindest die Zukunft „im Sugardaddy, der eine Redaktion aus seinen ganz eigenen Motiven heraus finanziert. Es ist jedenfalls definitiv besser, dass es sie gibt.“

Übersetzung: Steffen Grimberg