Ist die Volkszählung super?
JA

ZENSUS Die Deutschen müssen 2011 endlich wieder einmal ordentlich durchgezählt werden, finden die Statistikämter. Quatsch, entgegnen Datenschützer

Gert Wagner, 57, berät als Vorsitzender der Zensuskomission die Bundesregierung

Die Volkszählung ist natürlich nicht super; aber sinnvoll für unser Zusammenleben. Denn von den Bevölkerungszahlen hängt der milliardenschwere Finanzausgleich innerhalb Deutschlands und der EU ab. Außerdem gehen die Zensusdaten über statistische und wissenschaftliche Analysen indirekt auch in staatliche und kommunale Planungen ein. Es werden auch nicht Verwaltungsdaten zu einer Superdatenbank zusammengeführt, sondern nur Kopien genau definierter Daten in den Statistischen Ämtern ausgezählt. Was den Datenschutz angeht, ist das wasserdicht. Wenn das nicht alle wissen, müssen die Informationen über den Zensus offensichtlich verbessert werden. Durch zusätzlich gestellte Fragen nach religiösem Bekenntnis und „Migrationshintergrund“ wird übrigens regierungsamtlich anerkannt, dass Millionen von ZuwanderInnen in Deutschland leben. Dass deren Lebenssituation endlich deutlich wird, finde ich persönlich super!

Christian Heller, 25, bloggt unter dem Namen plomlompom in seiner Geburtsstadt Berlin

Neugier auf das Wie der eigenen Beschaffenheit ist eine Tugend. Das gilt für die Einzelnen wie für die Vielen. Volkszählungen sind eines der Werkzeuge dieser Tugend: Sie erfragen den Wandel der Verhältnisse von Familien- und Arbeitsformen, Religionen und Herkünften, Lebensbedingungen und -entwürfen in einer Gesellschaft. Je umfassender und detaillierter sie geraten, desto eher erschüttern sie ideologische Vereinfachungen wie „Volk“ und „Leitkultur“. Sie erweitern unser Verstehen der Welt und den Horizont von Politik. Solche Informiertheit ist wünschenswert. Das Sammeln von Daten über Menschen als deren Entwertung oder Unterdrückung zu verteufeln gleicht dem Aberglauben, mir würde die Seele gestohlen, wenn ich fotografiert werde. In einer aufgeklärten Welt lebt es sich besser als in einer blinden und dummen. Nur das Mittelalter nannte den Wissensdurst Sünde.

Manfred Güllner, 68, ist Gründer und Geschäftsführer des Forsa-Instituts

Um politische Entscheidungen optimal treffen zu können, brauchen Politiker verlässliche Daten. Insofern ist der geplante, registergestützte Zensus im Prinzip richtig und zu befürworten. Und er könnte in der Tat qualitativ bessere Daten liefern als die letzte Volkszählung. So sind die Angaben in den öffentlichen Registern heute viel zuverlässiger als früher. Auffällig ist allerdings, dass es heute kaum noch Vorbehalte gegen totale Erfassungen persönlicher Daten gibt. Ohne jedweden Protest wird zum Beispiel die faktische Aufhebung des Bankgeheimnisses, die zentrale Speicherung aller Entgeltdaten oder die Sammlung von Gesundheitsdaten durch Versicherungskonzerne hingenommen.

Manuel Höferlin, 37, ist Mitglied der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Bund, Länder und Kommunen brauchen dringend verlässliche Daten über unsere Gesellschaft. 2004 hat eine Bereinigung des Ausländerzentralregisters ergeben, dass bis zu 600.000 Personen zu viel gezählt wurden. Heute könnte die aktuelle Gesamtbevölkerungszahl in Deutschland um 1,3 Millionen zu hoch angesetzt sein. Deshalb ist es wichtig, nach den letzten Volkszählungen in BRD, 1987, und DDR, 1981, aktuelle Zahlen zu erheben. Der EU-weite Zensus 2011 liefert wichtige Daten für die Infrastruktur- und Raumplanung, für die Regelung des Finanzausgleichs sowie für demografische und volkswirtschaftliche Vorhersagen. Durch ein registergestütztes Verfahren kommen die Bürger im Gegensatz zu den vorherigen Volkszählungen kaum mit dem Zensus in Berührung, Befragungen wird es in einem viel geringeren Umfang geben.

NEIN

Rena Tangens will mit FoeBuD e. V. gegen den Zensus Verfassungsbeschwerde einlegen

Die Volkszählung ist super geeignet, um die Leute einmal mehr aufzurütteln, was in punkto Datensammlung passiert. Es ist naiv anzunehmen, der Zensus 2011 sei weniger schlimm als der in den Achtzigern, nur weil kein Zähler vor der Haustür steht. Dieses Mal werden heimlich, still und leise Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt: aus Meldeämtern, Katasterämtern, Bundesanstalt für Arbeit und „aus allgemein zugänglichen Quellen“, also im Zweifel alles, was über Google findbar ist. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung muss zusätzlich detaillierte Fragebögen ausfüllen. Dabei wird auch Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund abgefragt. Die Datensätze sind nicht korrekt anonymisiert: Jeder Mensch erhält eine Ordnungsnummer, die mit der Person verknüpfbar ist; die Daten werden vier Jahre gespeichert. Eine solche Personenkennzahl verletzt laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Menschenwürde.

Thilo Weichert, 54, ist der Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein

Deutschland will 2011 eine Volkszählung durchführen, weil es hierzu durch die Europäische Union verpflichtet ist. Sinnvoll muss diese Großerhebung deswegen noch lange nicht sein. Vielmehr ist sie aufwändig, teuer und – natürlich – eine Gefährdung für den Datenschutz der Menschen. Bei dem Registerzensus werden Verwaltungsdaten zusammengeführt, ergänzend erfolgen Direkterhebungen. Die entstehende Datenbank ist heikel, unterliegt aber einer absoluten Zweckbindung, wodurch keine Datenschutzverletzungen erfolgen sollten. Die Einhaltung der Vorgaben muss nachhaltig kontrolliert werden. Nicht einsichtig ist für mich, weshalb diese aufwändige Aktion überhaupt durchgeführt wird. Statistische Daten als Grundlage für die Politik fallen in den relevanten Bereichen in einem Maße an, dass die EU-weite Erhebung nicht erforderlich ist. Herauskommen wird nicht mehr als eine vermeidbare Verunsicherung der Bevölkerung.

Malte Schott, 29, ist Student und hat seinen Kommentar auf taz.de gestellt

Die politisch relevanten Daten liegen doch vor: Bund und Länder wissen, wie viele Steuern sie einnehmen, wie die sich verteilen, welche Sozialhilfen sie leisten müssen. Warum wollen die denn bitte wissen, wie man wohnt oder welche Religion man ausübt. Das geht die 1. nix an und braucht sie 2. auch gar nicht zu interessieren. Aber ein solches Datensammelsurium erlaubt eben auch andere Operationen, etwa bessere Rasterfahndung. Oder bei nächster Gelegenheit wieder mal auf einen numerischen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und regionaler Kriminalitätsrate zu verweisen. Ergo: Der Zensus dient nicht dem Volk, sondern nur einem Staat, der auf dem Weg zum Überwachungsstaat ist.

Thorsten Strufe, 36, ist Informatiker und baut das Online-Netzwerk Safebook auf

Die User in sozialen Netzwerken geben ihre sensiblen Daten freiwillig preis. Bei der Volkszählung ist das anders: Hier gilt die Auskunftspflicht. Dabei ist es riskant, derart viele Daten zu sammeln und zu speichern. Vor dem Hintergrund der Informatik weiß man: Wenn große Datenmengen zentral gespeichert werden, wollen Behörden früher oder später, zum Beispiel nach einer spektakulären Straftat, darauf zugreifen. Eine solch detaillierte Sammlung ist zudem unnötig. Für die angegebenen Zwecke wären zusammengefasste und damit zuverlässig anonymisierte Daten vollkommen ausreichend. Mit dem heutigen Wissen wären wir in der Lage, den Zensus sicherer und anonymer zu machen als bei der Volkszählung 1987. Doch genau das tun wir leider nicht.