Er war seiner Zeit weit voraus

50 JAHRE AUSCHWITZ-PROZESS Ronen Steinkes einfühlsames Porträt des großen Generalstaatsanwalts und Aufklärers Fritz Bauer

Schwarze Hornbrille und Reval-Zigaretten waren charakteristisch für ihn – einzig im Gerichtssaal verzichtete Fritz Bauer auf seine Filterlosen. Der Generalstaatsanwalt und Architekt des Auschwitz-Prozesses vor 50 Jahren war ein hartnäckiger Mann: NS-Verbrechen wollte er aufklären, um das Wesen des „Dritten Reichs“ begreiflich zu machen, zu dokumentieren und daraus für die Zukunft zu lernen. Seiner Zeit war er damit weit voraus. Wie hoch der Preis war, den er für seinen unermüdlichen Kampf zahlte, beschreibt Ronen Steinke, der nach Irmtrud Wojak nun eine weitere Biographie über Fritz Bauer vorgelegt hat. Sie enthält inhaltlich Neues über Bauers Studienzeit, Leben und Schaffen im Exil, ist aber vor allem als einfühlsames Porträt und zudem stilistisch gelungen.

Fritz Bauer, so arbeitet der Jurist, Kriminologe und Journalist Steinke heraus, war nicht nur ein brillanter Jurist, sondern auch ein herausragender politischer Kopf. Dabei bewies er viel Mut: Als unangepasster Student, der eine Blitzkarriere machte, im Kampf gegen den aufkommenden Faschismus. In der KZ-Haft, in der skandinavischen Emigration und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, als er 1949 nach Deutschland zurückkehrte, wo über allem Schweigen lag. Einen jüdischen Remigranten wie Bauer empfand man hier als besonders lästig.

1956 avancierte Bauer „vom Provinz- zum Metropolen-Generalstaatsanwalt“ in Frankfurt am Main. Ihm ist es zu verdanken, dass Adolf Eichmann gefasst und 1960 vor Gericht gestellt wurde – von seinem Beitrag zur Erfassung des Verbrechers erfuhr die Welt indes erst nach seinem Tod 1968. Und es war Bauer, der den Auschwitz-Prozess 1963–65 möglich machte: Mit 22 Angeklagten brachte er „einen Querschnitt durchs Lager“ auf die Anklagebank, um die Arbeitsteilung zu verdeutlichen, die dem Holocaust zugrunde lag.

Nicht Rache, sondern Recht

Die Deutschen sollten durch diesen Prozess begreifen, dass die Angeklagten stellvertretend für 22 Millionen auf der Anklagebank saßen. Ihm ging es nicht um Rache, sondern um Recht – und insbesondere um Vorbeugung. Das juristische Kunststück, so Steinke, bestand für ihn und seine Staatsanwälte unter anderem darin, deutlich zu machen, dass es zur Nazi-Zeit rechtmäßig gewesen wäre, das Gesetz zu brechen und Befehle nicht zu befolgen. (Für Informationen zum detaillierten Prozessverlauf sei hier nebenbei empfohlen: Devin O. Pendas: „Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht“, Siedler 2013). Die Juristerei bedeutete für Bauer, sich mit ihren Mitteln für die Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Für ihn war der Gerichtssaal „der Ort, an dem das künftige Geschichtsverständnis geprägt wird“, so der Autor.

Damit zog der rastlose Generalstaatsanwalt freilich den Hass der Nation auf sich, er wurde als Jude für voreingenommen erklärt, der Rachsucht bezichtigt, bedroht und mit Telefonaten terrorisiert. Sensibel zeigt Steinke, dass Bauer ein emotionaler Ausgleich zu seiner belastenden Arbeit fehlte. Er war ein Außenseiter, der seine jüdische Herkunft und seine Homosexualität vor seiner Umwelt und vermutlich vor sich selbst verbarg. Von anderen Juden hielt er sich bewusst fern, ja er „versagte sich jede Nähe zu den Opfern“. Angehörige, die überlebt hatten, waren im Ausland. Die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft lehnte ihn ab. Es gab für ihn zwar einige namhafte Weggefährten wie Brandt und Adorno – Thomas Harlan (Sohn von Veit Harlan) war zeitweilig sogar ein platonischer Freund – ansonsten schien er sich jedoch an seinen Zigaretten und seiner Arbeit festzuhalten.

Vom Auschwitz-Prozess und den niedrigen Strafen war er enttäuscht, die meisten Deutschen wollten den Schlussstrich. Er schätzte den „erzieherischen Effekt“ minimal ein. Fritz Bauer starb, kurz vor seinem 65 Geburtstag, in der Badewanne: verausgabt und einsam. Erst jetzt, 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess, beginnt in Deutschland die Form der Aufklärung, die sich Fritz Bauer gewünscht hat. Die von ihm initiierten Prozesse haben dafür die notwendige Grundlage des Gedächtnisses geschaffen. ALEXANDRA SENFFT

■ Ronen Steinke: „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“. Piper Verlag München, 2013, 349 Seiten, 22,99 Euro