Alte und Kinder zuerst

Um der stagnierenden Tourismusindustrie aufzuhelfen, hat Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Austermann die Unternehmensberatung „Roland Berger“ ins Boot geholt. Deren Expertise liegt nun vor

von ESTHER GEISSLINGER

Professor Doktor Björn Bloching machte ernste Miene zum komplexen Thema: „Tourismus“, sagte der Mann von der Unternehmensberatung „Roland Berger“, „ist etwas, dass man großräumig ansehen muss. Denken Sie an Dubai oder Mallorca.“ Es gehe um die „strategische Ausrichtung“ und um „Handlungsfelder“. Wobei: „Wenn ich nicht die richtige Übernachtungsinfrastruktur habe, hilft das natürlich nichts.“

Eben. Das musste in der Klarheit mal gesagt werden, und Professor Bloching hat es gesagt: Gestern stellte Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) mit Vertretern der Tourismusagentur Schleswig- Holstein, der Industrie- und Handelskammer und des Hotel- und Gaststättenverbandes ein Tourismusgutachten vor, dass Roland Berger in den vergangenen Monaten angefertigt hat. 150.000 Euro hat das Werk gekostet, davon zahlten das Land zwei und die Tourismusverbände ein Drittel. „Das Gutachten ist sein Geld wert, es ist gut angelegt“, betonte der Minister.

Handlungsbedarf für neue Wege im Tourismus ist da: Die Übernachtungszahlen schrumpfen beständig, das Land verliert dadurch über 500 Millionen Euro Wertschöpfung pro Jahr. Es fehle, meint Roland Berger, eine „fokussierte, landesweit umgesetzte Strategie“. Und: „Wir haben Ortschaften im Land gesehen, die ihre besten Jahre hinter sich haben.“

Tatsächlich hat Schleswig-Holstein eine lange touristische Tradition. Erinnert sei nur an die Marketingfachleute früherer Jahrhunderte, die auf den Nordseeinseln saßen und unter Nutzung der Küsten-Infrastruktur Touristenschiffe per falschem Leuchtfeuer zur abrupten Landung ermunterten, um aus den zahlreichen Wracks eine überdurchschnittliche Wertschöpfung zu ziehen.

Gäste unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Land zu locken, so weit möchte Roland Berger nun doch nicht gehen. Stattdessen hat die Unternehmensberatung Zielgruppen ausgemacht, die in Zukunft besonders beworben werden sollen: Familien mit Kindern und mittlerem oder hohem Einkommen, „anspruchsvolle Genießer“, also Gutverdiener bis 55 Jahre, die entweder allein oder als Paar daherkommen, sowie „best ager“, was die Altersgruppe 55 bis 75 Jahre meint.

Wesentlich mehr reisefähige Gruppen gibt es eigentlich auch nicht – Gering- oder Garnichtverdiener können sich einen Urlaub im eher teuren Schleswig- Holstein eh nicht leisten, und Jugendliche zieht es in andere Ecken der Welt, wenn sie nicht mehr mit Mama und Papa nach Sankt Peter-Ording oder an den Timmendorfer Strand müssen. Wobei Minister Austermann gleich beteuerte: „In Schleswig-Holstein ist jeder Tourist willkommen.“ Aber die drei genannten Gruppen seien eben diejenigen, um die in Zukunft besonders geworben werden müsse. Und das ist auch nicht so schwierig: Schon heute „repräsentieren die drei Zielgruppen zwei Drittel des touristischen Marktvolumens“.

Schleswig-Holstein soll also versuchen, mehr Familien und ältere Leute ins Land zu locken: „Gut, da kann man jetzt sagen, das weiß jeder“, sagte Armin Dellnitz von der Tourismusagentur. „Aber es geht bei diesem Konzept um etwas Ganzheitliches.“ Darum sei das Gutachten „in ganz Deutschland mit Spannung erwartet“ worden. Roland Berger habe den gesamten Tourismussektor „wie ein Unternehmen“ betrachtet und die Zielgruppen klar ausgemacht: „Im Marketing verliert man den Kunden manchmal ein Stück weit aus den Augen, da ist es gut, wenn man von außen einen Anstoß bekommt.“

Wichtig sei jetzt, einen Bewusstseinswandel einzuleiten – auch das ein altes Thema des schleswig-holsteinischen Tourismus. Denn nur langsam setzte sich bei den Wirtinnen der klassischen „Fremdenzimmer“ durch, dass ein Reisender manchmal nur eine Nacht bleiben möchte oder dass die Couchgarnitur von Oma nicht in das teuer vermietete Ferienapartment gehört. Die lokalen Tourismusvereine beraten ihre Mitglieder seit Jahren zu diesem Thema, inzwischen sind Zertifizierungen von Zimmern üblich.

Ganz ausgestanden ist das Problem aber noch nicht. Bloching hatte dazu eine Bettenburg-Resopaltisch-Draußen-nur-Kännchen-Fotomontage einerseits und eine Senioren-Reetdach-Radfahrer-Idylle andererseits mitgebracht: Weg vom 70er-Jahre-Charme zum „höherwertigen, modernen Tourismus“.

Diese hehren Ziele sollen erreicht werden, indem das Land gezielter fördert, beispielsweise Hotelprojekte. Außerdem soll ein gemeinsames Design entwickelt werden – zurzeit hat fast jeder Ort sein eigenes Tourismusbüro und sein eigenes Konzept. Zwangszusammenschlüsse von traditionellen Konkurrenten wie den großen Bädervereinen Nord- und Ostsee und den dazwischen heftig strampelnden Binnenlandvereinen soll es aber nicht geben: „Wir setzen auf Freiwilligkeit“, betonte Austermann.

Das Top-Argument für Urlaub in Schleswig-Holstein lieferte gestern aber weder der Minister noch der Roland-Berger-Vertreter, sondern die Sonne: Seit eh und je hängt der Erfolg einer Urlaubssaison zwischen Nord- und Ostsee vor allem vom Wetter ab.