Jetzt sollen Milizen die Wende bringen

AFGHANISTAN Präsident Karsai gibt dem Drängen von US-General Petraeus nach und stimmt der Einführung lokaler Polizeimilizen zu. Die neue Truppe soll künftig dem Innenministerium in Kabul unterstehen

BERLIN taz | Afghanistans Präsident Hamid Karsai und der Nationale Sicherheitsrat haben am Mittwoch dem Drängen des US-Militärs nachgegeben und die Gründung lokaler Polizeimilizen beschlossen. Details blieben ungenannt und würden vom Innenministerium ausgearbeitet, wie Hamid Elmi, ein Sprecher Karsais, am Mittwochabend in Kabul laut Reuters erklärte. „Die lokalen Polizeikräfte sollen in unsicheren Gebieten eingesetzt werden,“ sagte Elmi. Sie seien als Übergangsmaßnahme gedacht, bis die Nationale Polizei stark genug sei. Erste Details dürften am Dienstag in Kabul bei der internationalen Außenministerkonferenz bekannt werden.

An der Sitzung des afghanischen Sicherheitsrats hatten auch der US- und Isaf-Kommandeur David Petraeus sowie US-Botschafter Karl Eikenberry teilgenommen. Petraeus hatte zuletzt Karsai fast täglich getroffen und bearbeitet. Schon sein Vorgänger Stanley McChrystal hatte Karsai zum Aufstellen der Milizen gedrängt, die das US-Militär wegen der damit in Afghanistan verbundenen negativen Assoziationen nicht so nennen mag.

Petraeus hatte im Irakkrieg mit lokalen sunnitischen Milizen eine Wende eingeleitet. Diese „Söhne Iraks“ genannte Truppe bestand zum Großteil aus früheren US-Gegnern, die fortan vom US-Militär in den Kampf gegen das Terrornetzwerk al-Qaida geschickt wurde und bis 100.000 Mann zählte. Die Lage im Irak ist jedoch nicht mit der im zerrütteten Afghanistan vergleichbar. Dort sollen sich die neuen Polizeimilizen auch nicht aus bisherigen Regierungsgegnern wie den Taliban rekrutieren.

Karsai hatte gegen die Hilfstruppe große Bedenken. Denn seine Regierung ist schwach und muss bei jeder weiteren bewaffneten Gruppe fürchten, dass diese ihre Autorität schwächt. Schon heute arbeiten rund 30.000 Afghanen für private Sicherheitsdienste, die oft Warlords unterstehen. Auch machte Afghanistan während der sowjetischen Besatzung in den 1980er Jahren mit Milizen schlechte Erfahrungen. Sie verselbstständigten sich, rivalisierten miteinander und führten zum Aufstieg mächtiger Warlords. Dies feuerte den Krieg an.

Karsais Bedingung für die Akzeptanz der Milizen war deshalb, dass sie seiner Regierung unterstehen und von ihr bezahlt werden. Das Kommando soll das Innenministerium haben. Doch fraglich ist, ob es zu einer effektiven Kontrolle fähig ist. Nach amerikanischen Medienberichten, die sich auf ungenannte US-Diplomaten und -Militärs stützen, ist zunächst an 10.000 Mann gedacht. Sie sollen von US-Spezialkräften trainiert werden, die bereits in einigen Provinzen wie Nangarhar und Wardak mit lokalen Milizen experimentierten.

Afghanistans Landbevölkerung ist traditionell bewaffnet. Stammes- und Dorfräte bilden zum Schutz vor Angriffen aus bewaffneten Bauern eigene Milizen. Diese werden sowohl von den Taliban wie ihren Gegnern für eigene Zwecke missbraucht. Dass die Regierung jetzt selbst Milizen aufstellt, dürfte die Militarisierung verstärken und sich negativ auf die Sicherheitslage auswirken. Seit 2002 hatte die UNO zunächst mit begrenztem Erfolg versucht, Milizen der Warlords zu entwaffnen. SVEN HANSEN