Der große Einsame

Die Doku „Gottfried Benn: Schakal und Engel – hellgeäugt und schwarzgeflügelt“ (21.15 Uhr, 3sat) springt viel zu kurz

Es muss dem Filmemacher und Journalisten Jürgen Miermeister von Beginn an klar gewesen sein, dass sein Versuch, „sich einer Sphinx zu nähern, einem deutschen Januskopf“, nämlich Gottfried Benn, ein zum Scheitern verurteilter Versuch ist. Denn wie soll man sich jemand wirklich nähern und vielleicht gar verstehen können, und das in gerade mal 45 Minuten, der von sich einmal gesagt hat: „Ich bin mir der fremdeste und unbegreiflichste Mann, den ich kenne“? Insofern erfährt man in diesem „Porträt-Essay“ nichts Neues über Benn, hält Benn auch 50 Jahre nach seinem Tod seine Interpreten auf Distanz, bleibt er der große Einsame, der Elitäre, der absichtsvoll Schwierige, als den ihn die Literaturgeschichte kennt. Immerhin bekommt man einen fernsehtypisch rasanten Einblick in sein Leben und ein bisschen auch in sein Werk, von Miermeister unterteilt in sechs Kapitel, die mit „Aufstand“, „Giganten“, „Verblendung“, „Erotik“, „Melancholie“ und „Ewigkeit“ überschrieben sind.

Miermeister hakt Benns erste Lebensstationen ab, bedient sich vor allem eines Fernsehinterviews mit Benn von 1956 und kommt mit Hilfe zweier Gewährsleute, dem Literaturwissenschaftler Peter Wapnewski und dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, zügig zu Benns existenziellen Lebensproblematiken. Benn, der an der „Zerstörung des alten Sprachstils, der Zerstörung des alten Menschens“ arbeitet, der Nietzsche versteht und richtig interpretiert, der sagt: „Ein Lyriker lebt ganz in sich, in Worten“; der mittlere Benn, der sich 1933 in den Nazismus verstrickt und das im Nachhinein nur notdürftig zu erklären weiß, der späte Benn und die Frauen.

Miermeister lässt nichts aus, Benn und Jünger, Benn und Brecht, der Brief von Klaus Mann an Benn, und doch ist es befremdlich, wenn Benns „Verblendung“ 1933/34 in ein paar Minuten abgehandelt wird und Wapnewski sagt, da gäbe es eigentlich nichts zu erklären, und Reich-Ranicki sagt, „es ließen sich hunderte, tausende, Millionen blenden, darunter viele Schriftsteller. Gott sei Dank war Benns Phase von kurzer Dauer.“

Noch befremdlicher an diesem Film, in dem sich Miermeister von Wapneswki mehrmals mit „Herr Miermeister“ anreden lässt, sind die musikalischen Anreißer: Johnny Cash mag noch angehen mit „Solitary Man“, ist ja ein toller Song. Doch Rammsteins Songs „Sonne“ und „Mein Herz brennt“ als Ouvertüren für die Kapitel „Verblendung“ und „Melancholie“ gehen gar nicht. Das ist schlechter Stoff, das ist peinlicher Gegenwartsbezug (provozierende Rock-Ästhetizisten, o je!), das hat Gottfried Benn nicht verdient. GERRIT BARTELS