Abtreibung ist jetzt ohne „Notlage“ erlaubt

FRANKREICH Wichtige Anpassung der Gesetzeslage an die Realität. Das Recht auf legalen und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch wird bekräftigt. Abtreibungsgegner sehen „Banalisierung der Abtreibung“

AUS PARIS RUDOLF BALMER

In Frankreich müssen sich Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch nicht mehr auf irgendeine „Notlage“ berufen. Das haben zwar seit Langem die Ärzte nicht mehr von ihnen verlangt. Doch im Gesetz von 1975, das die Abtreibung für legal erklärt hat, stand bisher immer noch diese Bedingung. Aus der Sicht der Linksregierung war die jetzt erfolgte Aktualisierung des Rechts auf legalen und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch nur eine längst fällige Anpassung an die Realität. Die Frauenministerin und Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem sprach aber nach der Abstimmung in der Nationalversammlung auch von einer „angesichts der Tendenzen in Europa“ wichtigen Bekräftigung dieser Errungenschaft. Die Linksmehrheit stimmte der Gesetzesänderung geschlossen zu, auch eine Mehrheit der bürgerlichen Abgeordneten stimmte mit Ja.

Für die prinzipiellen Abtreibungsgegner aber stellt der Verzicht auf die Notlageklausel eine unerhörte Provokation dar. Am Sonntag vor dem Beginn der Parlamentsdebatte hatten in Paris rund 20.000 Menschen gegen eine Gesetzesrevision demonstriert, die für ihre Moralvorstellung eine „unerträgliche Banalisierung der Abtreibung“ darstelle. Bei den Teilnehmern handelte es sich weitgehend um dieselben kirchlichen und traditionalistischen Kreise, die sich im letzten Jahr bereits der Einführung der Homoehe widersetzt hatten. Sie verweisen auf Spanien als Vorbild, wo die konservative Regierung im Gegensatz zu Frankreich den Schwangerschaftsabbruch drastisch einschränken will. Ähnlich wie dies in der Schweiz eine Gesetzesinitiative konservativer Kreise verlangt, wollte eine Minderheit der parlamentarischen Rechten die Bezahlung der Abtreibung durch die Krankenversicherung infrage stellen, blieb damit aber isoliert.