„Ein Modell für Syrien“

FRONTBESUCH Linken-Politiker Jan van Aken war in Nordsyrien unterwegs und berichtet Erstaunliches

■ 52, war zwei Jahre lang Biowaffeninspekteur der Vereinten Nationen und sitzt heute für die Linkspartei im Bundestag.Foto: dpa

taz: Herr van Aken, warum sind Sie kürzlich in den Nordosten Syriens gereist?

Jan van Aken: Nachdem ein Vertreter des hohen kurdischen Rates mir von der Selbstverwaltung in den Kurdengebieten erzählte, war ich neugierig. Deshalb bin ich mit einer kleinen Gruppe vorletzte Woche nach Qamischli, in die Hauptstadt einer der drei kurdischen Kantone, gereist.

Wie funktioniert diese Selbstverwaltung?

In den Dörfern werden Verantwortliche gewählt, die sich um ihnen zugewiesene Aufgaben kümmern: Nahrungsmittel- oder Heizölversorgung. Auch die Richter werden direkt gewählt. Der hohe kurdische Rat organisiert die Selbstverwaltung und ist verantwortlich für die Milizen, die Sicherheitskräfte. Im Rat sind alle kurdischen Parteien vertreten.

Wie fühlt sich das Leben in Qamischli an?

Mich hat die Normalität überrascht. Innerhalb des Verteidigungsringes, den die Kurden um ihre Gebiete errichtet haben, herrscht Alltag. Die Kinder gehen in die Schule. Die Bäckereien sind offen, die Vergabe von Sprit und Heizöl funktioniert. Natürlich ist Mangel da, es ist schließlich Krieg. Die Menschen sagen, dass sie sich in Qamischli sicher fühlen. Obwohl es Anschläge gibt, ist die Sicherheitslage dort relativ ruhig. Zehntausende Christen sind in die kurdischen Gebiete geflohen.

Erhalten die Menschen Hilfe aus der Autonomen Region Kurdistan im Irak, die an die syrischen Kurdengebiete angrenzt?

Das hat mich am meisten schockiert. Die Kurden im Irak haben die Grenze zu den syrischen Kurden dicht gemacht. Es werden nicht mal Hilfslieferungen durchgelassen.

Was nehmen Sie von dieser Reise mit?

Was dort passiert, kann ein Modell für ganz Syrien sein. Die Menschen brauchen unsere Unterstützung, indem das Embargo abgeschafft wird und die geplanten Parlamentswahlen im Sommer unterstützt werden. Die Kurden sind bei der Debatte um Syrien völlig vernachlässigt worden. Die deutsche Außenpolitik muss da genauer hinschauen.

Haben Sie auch mit kurdischen Milizen gesprochen?

Ja, die Kämpfer haben uns erzählt, dass sie von Islamisten mit deutsch-französischen Abwehrwaffen beschossen wurden. Und zwar mit Milan-Raketen, die sie uns auch gezeigt haben. Das beweist, dass in Syrien deutsche Kriegswaffen eingesetzt werden. INTERVIEW: MBW

19.30 Uhr, Curio-Haus, Saal A