Schutzraum der höfischen Gesellschaft

MITTELALTER Die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums „Burg und Herrschaft“ bringt nur begrenzt Licht in die „dunkle Epoche“. Waffen, Wandteppiche, Essgeschirr, Schriftfragmente und Brettspiele erschließen eben noch nicht die ganze Geschichte

Unser Mittelalterbild ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und seiner Sehnsucht nach einer idealen Epoche

Seit dem 28. Oktober des vergangenen Jahres sind die deutschen Bürger zurück unter den Fittichen des Adels. Mit Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg steht nun ein Mann blauen Blutes an der Spitze des Bundesministeriums der Verteidigung. Dass Guttenberg mit diesem Schutz- und Sicherheitsamt in einer bis ins Mittelalter zurückreichenden Traditionsreihe steht, davon zeugt gegenwärtig eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM). Sie widmet sich noch bis zum 24. Oktober dem Thema „Burg und Herrschaft“. Dabei steht der Adel, die führende Gesellschaftsschicht des Mittelalters, im Mittelpunkt des Interesses. Den Adelshäusern diente die Burg als Zentrum ihrer Herrschaft, von hier aus tauschte man das Schutzversprechen an die Bürger gegen deren Steuerabgaben.

Die Ausstellung im DHM, die sich auf 1.000 Quadratmeter erstreckt und bei ausgiebiger Betrachtung etwa eineinhalb Stunden in Anspruch nimmt, ist ein Spaziergang vorbei an den Insignien des Mittelalters. Anhand von zirka 620 Exponaten bemüht sich die von Rainer Atzbach und Sven Düken kuratierte Historienschau um einen möglichst wirklichkeitsnahen Blick auf die „dunkle Epoche“, wie das Mittelalter auch genannt wird.

Schon beim Betreten der Ausstellungsräume türmen sich vor dem Betrachter zwei in Kampfstellung arrangierte Ritterrüstungen auf, was unweigerlich zu der Frage führt, wie man sich in diesen Metallanzügen überhaupt bewegen konnte. Flaniert man weiter, so stößt man auf ein Angst einflößendes Sammelsurium aus Waffen, die selbst das Herz des nüchternsten Waffenlobbyisten in Wallung bringen dürften: Streitkolben, Schwerter aller Couleur, Streithämmer, Morgensterne, Lanzen sowie frühe Handbüchsen aus dem späten 14. Jahrhundert.

Die Konfliktkreativität der Burggesellschaft kannte anscheinend keine Grenzen. Gerade aufgrund der offensiven Gewaltausübung im Mittelalter hatte die Burg einen vorwiegend defensiven Charakter. Sie war ein Schutzraum der höfischen Gesellschaft vor den Anfeindungen von außen. Neben dieser Funktion war die Burg aber auch Sitz der regionalen Herrschaft, Zeichen eines politischen Systems und Hort und Bühne einer sich entwickelnden höfischen Kultur.

Es ist wohl vor allem diese neue Kulturform, die das romantische Bild vom edlen Ritter, keuschem Burgfräulein und tugendhaften Herrscher prägte. Durch die mittelhochdeutsche Literatur, die sich an englische und französische Vorbilder anlehnte, schwappten diese Stereotype in den hiesigen Kulturraum und fanden ihre begeisterten Rezipienten in der höfischen Gesellschaft und in germanistischen Uni-Seminaren. Dass es mit der Sittsamkeit allerdings doch nicht so weit her war, bezeugt beispielsweise ein erotischer Liebesbrief von Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg, der in der Ausstellung gezeigt wird. In diesem lässt Albrecht seiner Gemahlin Anna am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1474 derbe sexuelle Ankündigungen aus dem Feldlager zukommen – freilich nicht, ohne auch die Hofdamen der Fürstin in seine Fantasien miteinzubeziehen.

Die Ausstellung „Burg und Herrschaft“ lässt ihre Besucher erahnen, wie schwierig es ist, ein differenziertes Bild vom Mittelalter zu erlangen. Aus Waffen und Wandteppichen, Zeptern und Essgeschirren, Heiligenbildern, Schriftfragmenten, Ofenkacheln und Brettspielen speisen wir unser Bild einer historischen Gesellschaft. Ein solcher Querschnitt kann allerdings nie mehr als eine Annäherung an das „dunkle Zeitalter“ sein. Dabei sollte man sich stets vor Augen führen, dass unser heutiges Mittelalterbild primär eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, in welchem die Romantiker sich nach einer idealisierten Epoche zurücksehnten, die es so nie gegeben hat. Diesen Punkt allerdings verschweigt die Ausstellung im DHM. Vielleicht wird der geneigte Mittelalterfreund hierzu im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg fündig, wo eine Parallelausstellung zum Thema „Mythos Burg“ präsentiert wird. TOBIAS NOLTE