Im Zwiegespräch mit Gottvater

HAUSBESUCH Er ist ist Balletttänzer, Lehrer, Model, Küchenfee und manchmal Teufel. Bei Manfred Burkhart in Freiburg

VON LENA MÜSSIGMANN
(TEXT) UND STEFAN PANGRITZ (FOTOS)

Freiburg im Breisgau, zu Hause bei Manfred Burkhart (71).

Draußen: Hinter dem Freiburger Bahnhof, eine Querstraße nach rechts, dann links ab in den Hof und ganz hinten durch das niedrige Gartentörchen, da liegt versteckt das Haus von Manfred Burkhart.

Drin: Hinter der Eingangstür ist es eng, dann öffnen sich die Räume. Vom Wohnzimmer kann man durch eine Schiebetür ins Schlafzimmer spickeln – mit Badewanne („Die hab ich in zehn Jahren vielleicht dreimal benutzt“). Ans Wohnzimmer schließt sich die offene Küche an, ein Anbau („Hier stand früher ein Ziegenstall“). Blickfang ist eine Biedermeiercouch mit seidig glänzendem Polster. Auf dem Tisch: Linzer Torte. Zu Weihnachten hat er 27 Stück davon gebacken („13 Kilo Teig geknetet. Gegen Arthrose ist das wunderbar“). Manfred, rote Hose, Schnürschuhe in Leopardenfell-Optik, flitzt noch ein paar Mal hin und her, bevor er sich zum Kaffeetrinken auf seine Couch setzt.

Was macht er? Manfred ist Rentner. Und Sprechtrainer für Radiomoderatoren, für Studenten und einen Mann aus Somalia. „Heute gebe ich Leuten das Selbstvertrauen, das ich selbst nie hatte. Brustbein raus!“ Außerdem ist er Kulturschaffender: Zur Hauslesung mit Hefezopf in seinem Wohnzimmer kommen mal 4, mal 40 Leute. Dann liest er gern schwarzhumorige Texte vor („Mit Lachen lässt sich manches besser ertragen“). Ab und an kehrt er zu seiner alten Leidenschaft zurück und spielt Theater. „Und ich bin ja auch noch Seniorenmodel.“ Mit Imagefilmen verdient er sich „die Marmelade aufs Brot“.

Was denkt er? „Ich muss demütiger werden“, sagt er. „Ich war gewohnt, dass ich ziemlich Erfolg habe.“ Vor gut vier Jahren hatte er einen totalen Zusammenbruch und war stimmtot. Bandscheibenvorfälle im Hals („Meine Psyche hat mir auf die Stimme geschlagen, mich verstimmt“). Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis er wieder da war. Jetzt will er wieder Gas geben. „Ich will in Berlin bei Hallervorden im Schlossparktheater vorsprechen. Der macht tolle Produktionen mit alten Leuten.“

Sein Leben: „Ich hab ein merkwürdiges Leben hinter mir.“ Er stammt aus einem Bauernhaus in Jechtingen am Kaiserstuhl. Der Vater hatte bereits vier Kinder, als er die Mutter geheiratet hat, die dann noch mal fünf Kinder bekam („Für den Vater waren wir nur weitere Fresser“). Manfred wuchs bei der Familie seines Onkels auf. Schon als Kind hat er gern getanzt. In der Untersekunda nahm ihn ein Freund aus der Schule, der Ballett tanzte, ein paar Mal zum Unterricht mit. Da hat es zwischen Burkhart und dem Ballett gefunkt. „Eigentlich wär klar gewesen: Mein Weg führt ins Theater. Aber ich war ein Hasenfuß. Die Eltern, das Dorf. Tänzer waren schwul, das wollt ich nicht sein. Aber ich konnt’s nicht verhindern.“ Er war schon damals ein Paradiesvogel. Am Gymnasium wurde er gemobbt, sagt er heute („Ein Lehrer fragte die Jungs, ob ich mich an sie ranmache“). Das war ungefähr 1955. „Ich hab mich nicht mehr in die Schule getraut, hab mich im Wald rumgetrieben.“ Nach der 11. hat er das Gymnasium geschmissen und Altenpfleger gelernt („Das hat mir nebenbei alle Spleene und Förze ermöglicht“). Heimlich lässt er sich nebenbei als Tänzer ausbilden, gehört zu einer französischen Compagnie. „Wir haben totales Theater gemacht: Gesang, Pantomime, Schauspiel.“ Er schwärmt von einem Auftritt bei einem Festival in Dijon, 1964 oder 65 („Das hat mich schon sehr geprägt“). Das Theater, das Tanzen war immer seine Leidenschaft, aber nie sein einziger Beruf. Er machte das Abi nach, studierte Deutsch, Kunst- und Sprecherziehung und wurde Lehrer an einer Schule für behinderte Kinder, dort blieb er bis zur Rente. Mit Unterbrechungen fürs Theater: 85 bis 89 tourt er mit einem Einmannstück. Manfred winkt ab. „Das ist alles so durcheinander. Mein Leben ist Kraut und Rüben. Aber auch damit kann man alt werden.“

Das letzte Date? „Vor vier Wochen. Ein Mann, etwas über 40.“ Manfred ist schwul. Geoutet hat er sich erst mit 50 Jahren. Im Theater sei es „kein Ding“ gewesen, seine Mutter wusste auch Bescheid. Aber der Vater? „Dein Leben geht mich nichts an“, habe der nach dem Outing zu ihm gesagt. Er solle tun, was er für richtig hält. Eine Art Anerkennung dessen, was sein Sohn war und ist. Als Manfred davon erzählt, zittert seine Stimme. Er hat Tränen in den Augen.

Einsam? „Ich leide nicht darunter, allein zu sein.“ Wenn doch, fährt Manfred weg, backt, putzt. Und er sagt noch das: „Gott sei Dank beruhigen sich die Hormone mit der Zeit.“

Der Alltag: Aufstehen um acht, eine Viertelstunde Yoga, geht mit dem Hund der Nachbarin raus und setzt sich dann ans Frühstück – „Hühnerfutter und Tee“. Seine Schüler unterrichtet er abends in seinem Kellerstudio. An den Wänden hängen Teppiche zur Schalldämpfung. Eine kleine Bühne. Hier lässt Manfred den Teufel raus, führt ein Zwiegespräch mit Gottvater, plaudert auf Jiddisch und spricht Szenen seiner Lieblingsstücke nach. Er spielt. Und das kann er.

Wie finden Sie Merkel? „Anfangs war ich gegen sie, fand sie grässlich unfähig. Aber sie hat es nicht schlecht gemacht, als sie plötzlich Kanzlerin war.“

Wann sind Sie glücklich? „Das kann ich sein mit einem Glas Rotwein.“ Er blickt vom Sofa aus ins Grün vor dem Fenster. „Oder wenn ich arbeiten darf, wenn ich einen Job bekomme, wenn ich gefragt bin. Dann blüh ich auf.“

Nächstes Mal treffen wir Sebastian und Ilaria in Berlin. Wenn Sie auch besucht werden möchten, mailen Sie an hausbesuch@taz.de