Elizabeta träumt von „Zigoland“

VORURTEILE Eine eindrucksvolle Ausstellung in Kreuzberg dokumentiert unter dem Motto „Roma in Bewegung“ die schwierige Situation der Roma in Berlin – und die Hoffnung der Bürgerkriegsflüchtlinge auf eine Zukunft in Sicherheit

„Die schönste Zeit war, als ich in Berlin ankam und dieser Krieg vorbei war“

MICHAL, 22 JAHRE

„Jeder fragt mich: Ja, was bist du? Ich bin Serbin, aber irgendwie eben eine Deutsche. Weil ich meine, wenn ich aus Serbien komme, heißt das nicht gleich, dass ich ganz Serbin bin.“

Das sind die Gedanken der 15-jährigen Adrijana, einer in Berlin lebende Romni. Dass sie selbst auch eine Deutsche ist, wird nicht von allen akzeptiert. „Das Leben vieler Roma in Deutschland ist von alltäglichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen bestimmt“, sagt Jonna Josties. Die Studentin gehört zu den Initiatoren der Ausstellung „Roma in Bewegung – Roma in Berlin“, die am Dienstagabend im Quartier des südost Europa Kultur e. V. in Kreuzberg eröffnet wurde.

Die Projektgruppe hatte sich im vorigen Jahr im Rahmen des Berliner Stipendienprogrammes der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zusammengefunden. „Uns war es ein Anliegen, uns mit der Situation der Sinti und Roma zu befassen“, sagt Josties. „Obwohl sie die größte europäische Minderheit sind, wissen zu wenig Menschen über ihre Lage Bescheid.“ Die fünf Stipendiaten aus Tschechien, den USA, Lettland und Deutschland nahmen Kontakt zu unterschiedlichen Gruppen auf, etwa dem Verein Amarodrom e. V., der sich für jugendlicher Roma engagiert. Und sie führt Interviews mit jungen Roma, die in den 90er Jahren aus Jugoslawien nach Berlin kamen. „So entstand die Idee, dass wir eine Ausstellung darüber machen könnten, was speziell junge Roma in Berlin bewegt“, erklärt Josties.

Persönliche Landkarte

Ausschnitte der Interviews und Fotos, die während der Projektarbeit entstanden, sind in der Ausstellung zu sehen. „Die schönste Zeit war, als ich in Berlin ankam und dieser Krieg vorbei war. Dass ich in Berlin auch eine bessere Zukunft habe durch Bildung, das war das Schönste in Berlin“, erzählt beispielsweise der 22-jährige Michal. Die Berichte in der Ausstellung erzählen von Diskriminierung und Hoffnungslosigkeit, der Flucht vor dem Krieg, die Jugendlichen berichten von der Freude über das neue Leben, von Zukunftsträumen und ihrem ganz persönlichen Berlin.

„Wir geben konkrete Einblicke in die Lebenswelt der jugendlichen Roma“, so Josties. Und das sehr emotional. So wurden die Jugendlichen im Gespräch auch aufgefordert, eine „Mental Map“, eine persönliche Landkarte, von Berlin zu zeichnen. Die 15-jährige Elizabeta zeichnete hingegen ein eigenes Land, „Zigoland“. „Ein Land für mein Volk, mit viel Sonne und Strand“, sagte sie dazu.

Zu Beginn war die Arbeit nicht unproblematisch. „Wir selbst wussten am Anfang wenig über das Thema“, sagt Veronika Patocková, Studentin aus Tschechien. „Unsere Arbeit verlief deshalb nicht zielgerichtet, es hat sich nur Stück für Stück entwickelt.“ Auch das Führen der Interviews mit jungen Roma sei nicht leicht gewesen. „Natürlich wollten nicht alle befragt werden“, sagt Lauren Karplus. „Die Jungs, die wir gesprochen haben, wollten sich auch nicht von vorn fotografieren lassen.“ Außerdem seien die Mitglieder der Gruppe immer wieder auf übliche Vorurteile gestoßen. Bei Gesprächen mit Dritten über das Projekt seien oft Sprüche wie „Ach, das ist doch das mit den Zigeunern“ aufgetaucht.

Jedoch habe die Gruppe sehr gut zusammengearbeitet. Das zeigt auch das Ergebnis. „Die Studenten haben sich sofort sehr gut in unsere Gruppe integriert und wurden gleich in unsere Familie aufgenommen“, sagt Hamze Bytyci, Geschäftsführer des Vereines Amarodrom e. V. „Wir sind sehr stolz auf das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit.“

Auch mit dem Eröffnungsabend ist er zufrieden. „Es ist toll, dass so viele Leute hergekommen sind“, so Bytyci. Rund 40 Besucher waren zur Eröffnung erschienen. Das macht auch Josties glücklich. „Wir freuen uns, dass ein solch reges Interesse an dem Thema besteht.“ Studentin Laima Laizane aus Lettland weiß: „Das Thema ist auch heute wichtig, nicht nur in der Vergangenheit. Wir müssen mehr darüber sprechen.“ Laut Bosiljka Schedlich, Geschäftsführerin des südost Europa Kultur e. V., zeigt die Ausstellung „nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was die Studenten gehört haben und was sie berührt hat“. Ziel solcher Projekte müsse es sein, eine Welt zu schaffen, in der es keine Ausgrenzung gibt. „Der einzige Weg dahin ist Bewegung in Kopf, Gefühl und Verstand.“

„Berlin ist meine Heimat“

Dazu tragen auch die Geschichten der jungen Roma bei, die entgegen allen Vorurteilen keineswegs als herumziehendes Volk zu betrachten seien. „Ich wohne hier seit elf Jahren. Ich bin hier aufgewachsen. Und wenn mich jemand fragt, wo meine Heimat ist, das ist Berlin-Wedding. Ich würde sofort die Straße sagen, die Postleitzahl, die Nummer. Das ist meine Heimat“, weiß auch die 15-jährige Adrijana. FLORIAN THALMANN

■ Die Ausstellung „Roma in Bewegung – Roma in Berlin“ ist noch bis zum 20. November in der ersten Etage des südost Europa Kultur e. V., Großbeerenstraße 88, Kreuzberg, zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr