Britischer Polizist wird nicht wegen Totschlags angeklagt

G-20-DEMONSTRATION Erst ein Privatvideo zeigte den brutalen Schlägereinsatz der Polizei am 1. April 2009

Die Polizei hatte zunächst behauptet, der Mann sei an einem Herzinfarkt gestorben

DUBLIN taz | Der Polizist, der den 47-jährigen Ian Tomlinson am Rande der G-20-Demonstration am 1. April vorigen Jahres in London zweimal zu Boden gestoßen und mit einem Schlagstock traktiert hat, wird nicht angeklagt. Tomlinson war wenige Minuten nach dem Angriff tot zusammengebrochen. Staatsanwalt Keir Starmer begründete seine Entscheidung damit, dass keine Aussicht auf eine Verurteilung bestehe, weil sich die Obduktionsergebnisse widersprechen.

Die Polizei hatte gegenüber Tomlinsons Frau Julia, mit der er neun Kinder hat, zunächst behauptet, ihr Mann sei an einem Herzinfarkt gestorben. Polizisten hätten versucht, ihn wiederzubeleben, seien aber von Demonstranten daran gehindert worden. Dann tauchte ein Video auf, das ein 38-jähriger Vermögensverwalter aus New York dem Guardian übergeben hatte.

Tomlinson war auf dem Nachhauseweg von seiner Arbeit als Zeitungsverkäufer. Auf dem Video sieht man, wie er in der Royal Exchange Passage langsam vor einer Reihe von Polizisten mit Hunden herläuft, die Hände in den Taschen. Plötzlich schlägt ihm ein vermummter Beamter von hinten mit dem Schlagstock in die Beine, bevor er ihn heftig zu Boden stößt. Im Fallen zieht Tomlinson die Hände aus den Taschen, um den Sturz abzufedern. Er fällt auf den Bauch, die umstehenden Polizisten lassen ihn liegen. Ein Demonstrant hilft ihm schließlich auf die Beine. Tomlinson stolpert langsam weiter, bricht aber drei Minuten später zusammen.

Der Pathologe Freddy Patel stellte die Diagnose eines natürlichen Todes durch Herzinfarkt. Eine zweite Obduktion, im Auftrag der Unabhängigen Beschwerdekommission der Polizei, kam dagegen zu dem Ergebnis, dass Tomlinson an inneren Blutungen gestorben sei. Eine dritte Obduktion, die der prügelnde Polizist beantragt hatte, bestätigte das.

Staatsanwalt Starmer enthüllte gestern, dass Tomlinson kurz vor dem Angriff von einem Polizeihund gebissen worden sei. Er sagte, es hätte zwar genügend Beweise gegeben, um den Polizisten wegen einer Tätlichkeit anzuklagen, doch das hätte binnen einer Frist von sechs Monaten geschehen müssen. Der Zusammenhang zwischen der Attacke und Tomlinsons Tod sei dagegen vor Gericht nicht zu beweisen.

Tomlinsons Sohn Paul King sagte gestern, es sei „empörend“, dass die Staatsanwaltschaft 16 Monate lang benötigte und am Ende keine Anklage erhebe. Die Familie hatte gefordert, den Polizisten wegen Totschlags anzuklagen. Der ist zwar seit dem Auftauchen des Videos vom Dienst suspendiert, hat aber nun höchstens ein Disziplinarverfahren zu befürchten. RALF SOTSCHECK