Sehr unterschiedliche Erzählweisen

LEHRPLÄNE Wissenschaftler haben untersucht, wie der Massenmord an den Juden weltweit im Unterricht vermittelt wird. In einigen Ländern ist der Holocaust ein zentrales, in anderen kaum ein Thema

BERLIN taz | Es gibt viele Bezeichnungen für den Holocaust: Porajmos, Olocausto, Calopalenie oder Khurbn. Genauso vielfältig ist auch der Umgang mit dem Thema im Unterricht. Die eine, kosmopolitische Erinnerungskultur gebe es dabei nicht, vielmehr existierten mannigfaltige Interpretationen, Erzählweisen und Zielsetzungen, so das Fazit der Wissenschaftler des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts, die mit Unterstützung der Unesco die Bedeutung des Holocausts in der schulischen Bildung untersucht haben.

Erste Ergebnisse ihrer Analysen von Schulbüchern und Lehrplänen in 125 Staaten stellten sie am Montag auf einer Gedenkveranstaltung für die Befreiung von Auschwitz in Paris vor. Dem Zwischenbericht zufolge wird der Holocaust zwar global thematisiert, aber in höchst unterschiedlicher Intensität.

In vielen europäischen Ländern, aber auch in Äthiopien empfehlen die Schöpfer der Lehrpläne, den Holocaust als eigene Lehreinheit zu behandeln. Wobei wiederum auch hier je nach Land und Lehrbuch sehr unterschiedliche Erzählweisen bedient werden.

In Albanien etwa wird der Holocaust in das Zeitalter der Erschütterungen eingebettet und der Blick auf albanische Bürger gelenkt, die verfolgte Juden retteten. Albanien ist das einzige Land, in dem nach 1945 mehr Juden lebten als vor Ausbruch des Krieges. In chinesischen und rwandischen Schulbüchern wird der Holocaust kaum thematisiert – und wenn, dann nur „flüchtig und als Vergleichsmaßstab in Darstellungen der örtlichen Völkermorde“, wie es im Kurzbericht des Instituts heißt.

Nicht geleugnet, aber ausgeblendet oder nur teilweise erklärt werde der millionenfache Mord an den europäischen Juden im Irak und seinen Nachbarländern im Nahen Osten. Statt des Begriffs „Holocaust“ heißt es in Schulbüchern etwa wolkig: „die von Nationalsozialisten verursachten Zustände der Unterdrückung“. In Indien preisen einige hindunationalistische Schulbuchautoren gar die „kompromisslosen nationalen Ideale“ der Nationalsozialisten.

Die Wissenschaftler des Fritz-Eckert-Instituts, das nationale und internationale Bildungsakteure berät, empfehlen nun die faktische Basis in den Schulbüchern zu verbreitern und die Schulbuchtexte um Zeugenaussagen zu ergänzen. Außerdem plädieren sie für eine Anerkennung lokaler Blickwinkel. Den Abschlussbericht ihrer Studie werden sie im Frühjahr veröffentlichen. ANNA LEHMANN