Vier Paare und ein Konflikt

Die aktuelle Nahost-Krise ist auch ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und dem Iran. Doch die einzig verbliebene Supermacht wirkt in der aktuellen Krise sonderbar machtlos

Für Damaskus und Teheran macht es Sinn, den Konflikt zwischen Libanon und Israel zu schürenHamas und Hisbollah sind die zentralen Kräfte im Kampf gegen Israel. Israel hat sie groß gemacht

Um die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten in den letzten Tagen zu verstehen, muss man sich die Beziehung zwischen vier verschiedenen Paaren von Akteuren vergegenwärtigen: Hamas und Hisbollah, die palästinensische und die libanesische Regierung, Syrien und der Iran sowie, nicht zuletzt, Israel und die USA.

Vereinfacht gesprochen hat US-Präsident Bush die jüngste Runde der Gewalt als einen Kampf zwischen Gut und Böse beschrieben, während die israelische Regierung Palästinenser und Libanesen dafür verantwortlich macht, die lediglich Krieg gegen ein friedliebendes Israel führen wollen. Die Realität ist aber, dass wir derzeit den Höhepunkt einer falschen Politik erleben, die seit über vierzig Jahren die Anspannung, die Wut und Gewalt im Nahen Osten genährt haben, während die vier genannten Paare von Akteuren ihre fest gefügte Rolle in diesem fortlaufenden Drama spielen.

In der letzten Dekade sind die Hisbollah und die Hamas in der arabischen Welt zu den beiden führenden politischen Kräften aufgestiegen, die sich der israelischen Besatzung im Libanon und in Palästina entgegenstemmten. Sie genießen große öffentliche Unterstützung in ihren jeweiligen Ländern; gleichzeitig stehen sie aufgrund ihrer militanten Strategien, die unweigerlich harsche Reaktionen von israelischer Seite provozieren, auch in der Kritik. Dies kann man heute im Libanon sehen, wo sich die Wut der Bevölkerung aufgrund der brutalen Angriffe auf zivile Einrichtungen vor allem gegen Israel richtet, während Palästinenser, andere Araber, Syrien und Iran mit dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Libanon in einen Kriegsschauplatz für andere Konflikte verwandelt wird. Etwas leiser wird die Entscheidung der Hisbollah in Frage gestellt, diesen jüngsten Konflikt anzuzetteln.

Es ist kein Zufall, dass Israel derzeit die zivile Infrastruktur sowohl in Palästina als auch im Libanon bombardiert und zerstört, also Flughäfen, Brücken, Straßen, Kraftwerke und Regierungsgebäude. Es behauptet, dies zu tun, um Terrorangriffe gegen Israelis zu stoppen, aber die vergangenen vier Jahrzehnte haben gezeigt, dass diese Vorgehensweise genau den gegenteiligen Effekt zeitigt: Sie hat die Gruppen der Hamas und der Hisbollah geboren und ihnen, deren raison d’etre der Kampf gegen die israelische Besatzung auf ihrem Land war, zu Macht, Ansehen und politischer Autorität verholfen. Die Zerstörung eines normalen Lebens von Palästinensern und Libanesen hat auch die Glaubwürdigkeit, die Handlungsfähigkeit sowie die Legitimität herkömmlicher Regierungssysteme zerstört. Das hat die libanesischen und palästinensischen Regierungen zu Schlüsselfiguren der jüngsten Ereignisse gemacht – und, in den meisten Fällen, zu ohnmächtigen Zuschauern.

Libanesen und Palästinenser haben auf Israels anhaltende und zunehmend brutalere Angriffe gegen ganze Zivilbevölkerungen reagiert, indem sie sich parallele oder alternative Führungen aufgebaut haben, die sie beschützen und mit elementaren Dienstleistungen versorgen konnten. Mit jeder neuen israelischen Attacke gegen die Führung von Hamas und Hisbollah passieren vier wichtige Dinge, und sie werden vermutlich auch in dieser Runde des Krieges wieder geschehen: Die libanesische und die palästinensische Regierung verlieren an Einfluss und Macht; Hamas und Hisbollah gewinnen an öffentlicher Unterstützung, was die Wirksamkeit ihrer Guerilla-Kriegsführung steigern wird, sie werden ihre militärtechnischen Möglichkeiten erweitern (mit Raketen von größerer Reichweite und besser improvisierten Sprengsätzen). Und nicht zuletzt: Die von Hamas und Hisbollah angeführte, gegen Israel und die USA gerichtete Kampagne des Widerstands wird wieder politische und öffentliche Unterstützung in weiten Teilen des Nahen Ostens und in der Welt finden.

Das führt uns zu einem dritten Paar von Akteuren, Syrien und Iran, die sich geduldig und umsichtig als Alliierte, Förderer, Gäste, Finanziers, Waffenausrüster und ideologische Brüder im Geiste von Hamas und Hisbollah in Stellung gebracht haben. Während diese lokalen Islamistengruppen in erster Linie von ihrem lokalen Widerstand gegen Israel angetrieben werden und sich in erster Linie – als Eckpfeiler ihrer Identität – als Palästinenser und Libanesen verstehen, so spielen sie doch eine wichtige Rolle in der Außenpolitik des Iran und Syriens.

Wir werden derzeit Zeuge, wie zwei parallele, aber miteinander zusammenhängende Entwicklungen zusammenkommen. Die beiden souveränen Staaten Iran und Syrien kämpfen einen tödlichen politischen Kampf gegen Israel, die USA und in zunehmendem Maße auch gegen Europa, während sich Hamas und Hisbollah in ihrem Kampf denselben Gegnern gegenübersehen. Es macht unmittelbar Sinn, aus der Perspektive von Damaskus und Teheran betrachtet, an der Grenze zwischen Libanon und Israel die Schwierigkeiten zu schüren. Dies ist ein günstiger Zeitpunkt, weil Israel ziemlich ratlos wirkt, wie es mit dem Widerstand der Hamas in Palästina umgehen soll, und die USA nicht in der Lage scheinen, irgendeinen konstruktiven Beitrag zu leisten als Israels Recht auf Selbstverteidigung zu betonen, während es palästinensischen und libanesischen Zivilisten ebendieses Recht vorenthält.

Das vierte Paar von Akteuren, die USA und Israel, finden sich wieder in der bizarren Situation, genau diejenigen Strategien zu wiederholen, die schon in den vergangenen Jahren durchwegs versagt haben. Als Ergebnis seines Bemühens, demonstrativ Stärke zu zeigen, ist Israel nun von zwei kräftigen islamistischen Widerstandsbewegungen umkreist, die über große militärische Schlagkraft und öffentlicher Unterstützung verfügen. Die arabische Bevölkerung verschiedener Länder in der Region stimmen in zunehmendem Maße für islamistische Bewegungen, wann immer Wahlen abgehalten werden. Dazu kommen machtlose Regierungen in vielen angrenzenden Ländern sowie wild entschlossene, ideologische Todfeinde in Teheran und Damaskus, die nicht zögern, alle Waffen zu benutzen, die in ihrer Macht stehen.

Die USA sind seltsam unsichtbar. Sie haben Sanktionen gegen Iran, Hisbollah und Hamas verhängt und können deshalb noch nicht mal mit ihnen sprechen, und sie üben schon seit Jahren Druck auf Syrien aus, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Die einzige Supermacht der Welt wirkt sonderbar machtlos in der aktuellen Nahost-Krise. So lange diese vier Paare von Akteuren ihre bisherigen Strategien weiter verfolgen, müssen die Aussichten düster bleiben.

Der einzige Weg, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, ist, über Verhandlungen zu einer politischen Lösung zu finden, die ihre legitimen Forderungen berücksichtigt. Was werden Israel und die USA tun, wenn es keine arabischen Flughäfen, Brücken und Kraftwerke mehr gibt, die man zerstören kann? Zu einer diplomatischen Lösung gibt es deshalb keine Alternative. RAMI G. KHOURI

Übersetzung Daniel Bax