„Spekulanten stürzen Schwellenländer“

WELTWIRTSCHAFT Ökonom Heiner Flassbeck über die wirtschaftlichen Folgen der Spekulation, Finanzblasen und mögliche Krisen: „Die Schwellenländer sind höchstens der Auslöser“

■ war Chefökonom der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad). Er betreibt den Blog flassbeck-economics.de.

taz: Herr Flassbeck, die Türkei hat ihre Leitzinsen verdoppelt. Eine gute Idee?

Heiner Flassbeck: Es ist Wahnsinn. Die Wachstumsraten in der Türkei sind schwach und die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Wenn jetzt die Zinsen so stark steigen, bricht die türkische Wirtschaft ein.

Aber die internationalen Anleger sind euphorisch. Weltweit steigen die Aktienkurse.

Offenbar verstehen diese Spekulanten nicht, wie gefährlich die Lage ist. Die Türkei ist ja nicht der einzige Problemfall. Alle Schwellenländer stehen vor dem Problem, dass sie ihre Leitzinsen anheben müssen, damit sich das internationale Kapital nicht zurückzieht.

Wieso sind die Schwellenländer so abhängig vom ausländischen Kapital?

Dies ist ein Resultat des sogenannten Carry Trade. In Europa, Japan und den USA sind die Zinsen bei fast null. Also nehmen Finanzspekulanten dort billige Kredite auf – und legen das Geld in Schwellenländern an, wo die Zinsen höher sind.

Warum ist es ein Problem, wenn ausländisches Geld in die Schwellenländer strömt? Man könnte doch denken: Endlich haben diese Länder Geld, um in ihre Wirtschaft zu investieren.

Leider ist es andersherum. Das ausländische Geld hat die Wirtschaft schleichend zerstört. Durch den Zustrom von außen wurden die türkische Lira oder der brasilianische Real stark aufgewertet. Die türkischen und brasilianischen Waren verteuerten sich auf dem Weltmarkt, so dass die Exporte einbrachen. Gleichzeitig wurden die Importe billiger. Es entstand ein großes Außenhandelsdefizit – und die Länder wurden immer stärker von ausländischen Krediten abhängig. Irgendwann macht das Defizit die ausländischen Spekulanten nervös. Sie ziehen ihr Geld ab und stürzen die Schwellenländer abrupt in eine Krise.

Mit dem erhöhten Leitzins will die Türkei die Kapitalflucht stoppen. Wird das klappen?

Kurzfristig vielleicht. Aber das Land braucht eine kontrollierte Abwertung. Wenn bei den hohen Zinsen die Spekulanten wieder einsteigen, ist die ganze Aktion sinnlos.

Wenn die Wirtschaft in den Schwellenländern einbricht – droht dann die nächste Finanzkrise?

Eine Finanzkrise ist jederzeit möglich, weil wir neue Blasen haben. Die Schwellenländer sind höchstens der Auslöser. Das eigentliche Problem ist, dass die Spekulation mit Währungen, Rohstoffen, Aktien oder Derivaten nicht eingeschränkt wurde.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN