ein mann soll ein haus bauen von WIGLAF DROSTE
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„Bauherrenjahre sind Lehrjahre“, sagte der Lektor aufgeräumt und sog an seinem Zigarillo. Er saß unter einer großen Kiefer vor seiner Datsche, nahm einen Schluck Bier und betrachtete sein Gartengrundstück. Es war grün, der Baumbestand war nicht üppig, aber ausreichend schattenspendend, und gut 100 Quadratmeter Boden waren mit Beton bedeckt. Die Betonfläche war mit Teerpappe versiegelt, die in der Sonne glänzte. Hier würde das Haus stehen, sein Haus.

„Stahlbewehrt“, sagte der Lektor; man hörte, dass er das Wort erst in letzter Zeit kennen gelernt und seitdem unverhältnismäßig häufig ausgesprochen hatte. „Die Bodenplatte ist stahlbewehrt. Bevor ich anfing zu bauen, wusste ich gar nicht, was es alles gibt. Jetzt weiß ich das.“ Er lachte und fragte mit gespieltem Fatalismus in die Runde: „Möchte noch jemand einen Whisky?“ Sich selbst goss er einen guten Schlag ein. Versonnen betrachtete er die bernsteinfarbene Flüssigkeit. „Einen Baum zeugen und Kinder pflanzen ist gut“, murmelte er. „Aber ein Haus bauen ist die Meisterprüfung. Erst wer ein Haus gebaut hat, weiß wirklich, was läuft. Vorher kann man gar nicht mitreden.“

Ich ahnte, was er meinte. Meine Eltern hatten ein Haus umgebaut, als ich ein Junge war. Das Leben hatte sich von etwas freundlich Dahingleitendem in ein Bauherrenmodell verwandelt. Bauherr ist ein anderes Wort für Sklave. Als Kind hat man die Masern, Windpocken, Scharlach, Mumps oder alte Tanten, die einem mit Taschentuch und Spucke einen Fleck aus dem Gesicht reiben wollen. Als Erwachsener hat man die Handwerker. Handwerk hat goldenen Boden, heißt es, aber die Bodenplatte des Lektors war schwarz, so schwarz wie seine nähere Zukunft.

Kiecker und Drieling hatte eine der Schurkenfirmen geheißen, die meinen Eltern Geld und Nerven wegfraßen – da es sich um Maler handelte, hießen sie bei uns nur Klecker und Drieling. Klecker war lang und dünn, Drieling kurz und dick, beide waren ausgebuffte Gewohnheitsverbrecher – Handwerker eben. Nur mein jüngerer Bruder brachte sie einmal kurz aus ihrer demonstrativen Hände-in-den-Latzhosentaschen-Gemütsruhe. Inspiriert von der Stummfilmserie „Väter der Klamotte“ begrüßte er die Halunken mit den Worten: „Aaah, Pat und Patachon, die Herren Unternehmer!“ Da kuckte das saubere Pärchen ziemlich säuerlich aus der Wäsche, aber einem Fünfjährigen konnten die beiden nicht gut etwas tun. Zumal der Fünfjährige ihnen geistig weit überlegen war.

Der Mensch verhält sich zum Bauherrn wie ein Swingtänzer zum Schwingschleifer. Das Bauen hat noch jeden fertig gemacht; es hat Ehen zerrüttet und zufriedene Männer in Wracks verwandelt. Wer baut, braucht keine andere Arbeit und keine Feinde mehr, und der Spott seiner Freunde ist ihm ohnehin gewiss. Der Lektor war ein kluger Mann und Philosoph, er hatte eine schöne Frau und wohlgeratene Kinder, seine Arbeit war vielseitig und gut. Warum baute dieser Mann ein Haus? Es gab doch schon so viele Häuser.

Ich ging zur Toilette. Auf dem Fensterbrett lag ein dickes Buch, das alt und zerlesen aussah. Ich nahm das Buch in die Hand, sein Titel lautete: „Wohne im eigenen Heim“. Der Autor war ein gewisser Marquis de Sade.