„Warum sich beschränken?“

Die Band „Primal Scream“ ist bei großen Rockgesten angekommen. Auf ihrem Album „Riot City Blues“ hört man die besseren Rolling Stones. Ein Gespräch mit dem Sänger Bobby Gillespie über Drogen und dieses Universum voller Möglichkeiten

INTERVIEW: MAX DAX

taz: Herr Gillespie, erst kürzlich ließen Sie verlautbaren: „Ich bin glücklich, ich habe meine Familie, ich habe meine Band.“

Bobby Gillespie: Das bringt es auf den Punkt. Eine gute Balance ist das A und O im Leben. Arbeit und Familie. Das habe ich immer haben wollen. Einmal bin ich übrigens mit einem Hubschrauber über Ihre Stadt geflogen.

Wie kommen Sie jetzt darauf?

Wir starteten und landeten auf dem Tempelhofer Flughafen. Irgendeiner erzählte uns, dass die Einstürzenden Neubauten nebenan in der Columbiahalle ihr 20-jähriges Jubiläum feiern würden. Nach unserem Konzert gingen wir dorthin. Das war 2000.

Und, wie war’s?

Super war’s. Als wir den Laden betraten, spielte der DJ „Swastika Eyes“ von unserem „XTRMNTR“-Album. Das nenne ich Respekt.

In dem Song singen Sie: „She got swastika eyes / Sie hat Hakenkreuzaugen“ – ein heftiges Bild.

So ist das im Rock.

Sie haben Ihr neues Album „Riot City Blues“ genannt. Auch ein ganz schön prätentiöser Titel. Als wären Sie Iggy Pop, und Ihre Band hieße The Stooges.

Der Vergleich gefällt mir. Ich dachte einfach, der Titel passt. In unserem neuen Song „Country Girl“ taucht der Titel als Textzeile auf. Drei gute Wörter, gute Reihenfolge, ab dafür.

Mit Primal Scream haben Sie stets sehr unterschiedliche Platten aufgenommen von Rock zu Rave zu Dub zu Rock zu Techno zu Rock.

Nehmen wir jemanden wie Leonard Cohen. Das ist ein fantastischer Songwriter. Aber seine Platten klingen alle gleich. Akustische Gitarren, Songstrukturen. Ich bin ja auch immer wieder fasziniert, was für Klänge man mit Hilfe der Technik aus dem simplen Aufsetzen einer Kaffeetasse auf den Tisch extrahieren kann, wenn man ein Mikrophon danebenhält.

Das beantwortet nicht die Frage.

Nehmen wir die Beatles und das „White Album“. Ich bin kein großer Fan der Platte, aber ich stelle fest, dass jeder Song anders klingt. Die Leute fragen sich immer, woher die die Inspiration genommen haben. Aber ich sage Ihnen: Die Band war längst auseinander. Alle vier Beatles haben ihre eigenen Songs auf ihre Weise eingespielt. Ich vermute mal, dass wir immer wieder ab einem bestimmten Punkt von unserer eigenen Musik gelangweilt waren und dann etwas Neues ausprobieren wollten. Wir haben dann andere Instrumente benutzt. Wir haben immer experimentiert. Wir wollten immer eine futuristische Rock-’n’-Roll-Band sein, die sich von Album zu Album verändert. Das war ganz bewusst von uns so gewollt.

Warum?

Es ist ein Universum voller Möglichkeiten. Warum sollten wir uns beschränken? Heutzutage nimmt einer einen Song auf, und der nächste remixt den Song. So funktioniert moderne Musik. Warum sollen wir uns dagegen sperren. Das ist übrigens ein uraltes Prinzip: Ich liebe jamaikanischen Reggae. Von dort haben wir damals die Idee mit dem Dub bezogen. Das bedeutete für uns, wenn einer einen besseren Remix hinbekommt als unsere Originalversion, dann kommt der Remix auf’s Album. So, wie Lee Scratch Perry es auf seinen Alben auch gemacht hat. Es geht immer um die Musik. Dass es dann letztlich Speedfantasien waren, die die einzelnen Alben schließlich geprägt haben, ist unwichtig. Entscheidend war die Bereitschaft, sich immer wieder auf Neuland zu begeben. Es ist am Ende des Tages vermutlich eine Stilfrage. Allerdings: Drogen sind schon eine komische Sache.

Was ist so komisch an Drogen?

Die Drogenkultur in Großbritannien ist seltsam. Wir leben in einem Schneegestöber. Überall gibt es Kokain. Sogar die Bauarbeiter schnupfen Kokain, wenn sie Häuser bauen. Alle, wirklich alle sind druff. Das halte ich nicht für eine gute Entwicklung. Ich meine, vielleicht bin ich nicht jemand, der gute Ratschläge geben sollte, aber ich denke doch, dass die Engländer es im Moment etwas übertreiben. Ich weiß ja nicht, wie es hier in Deutschland ist, aber in England ist alles voller Kokain.

War das früher anders?

Schon in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern war die Drogenkultur in England wie ein übergelaufener Sumpf. Ecstasy, Kokain und Heroin waren überall. Meine Freunde und ich haben das alles genommen. Wir haben aber versucht, diesen Drogenerfahrungen einen adäquaten Sound gegenüberzustellen. Einen paranoiden, klaustrophobischen, abgefuckten Sound. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen. Insektenfeeling. Schmutzig. Schmierig. Gruselig. Das war bei Primal Scream eine ganz bewusste Herangehensweise. Wir wollten urbane Blues-Platten aufnehmen.

In diese Zeit fiel auch Ihr umstrittener Auftritt beim Glastonbury-Festival.

Ich kann mich nicht erinnern. Wieso umstritten?

Da gab es eine Geschichte, die durch die Presse ging: Angeblich sollen Sie Backstage ein Plakat übermalt haben, auf dem stand: „Make poverty history“. Sie schrieben „make Israel history“ mit Edding drüber.

Ich erinnere mich dunkel. Ich war wohl ein bisschen betrunken. Stimmt, das gab Ärger.

Sie sollen auf der Bühne den deutschen Gruß gezeigt haben.

Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr erinnern, jemals überhaupt dort gewesen zu sein.

Sie meinen: vor 300.000 Menschen aufzutreten ist eine solche Routine geworden, dass Sie die Bühnen und die Garderoben nicht mehr unterscheiden können?!

Okay, ich sage es Ihnen: Manchmal muss man Menschen provozieren, wenn sich alle auf die Schultern klopfen. In Glastonbury war es so. Alle dachten, sie würden die Welt retten. Aber ich nicht so. Ich habe einfach einen tiefschwarzen Humor. Außerdem war ich fix und fertig. Ein politisches oder gar antisemitisches Statement war es auf alle Fälle keines. Aber an den Auftritt kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.

Die Festivalleitung musste Ihnen beim letzten Song den Strom absperren, weil Sie partout nicht zu spielen aufhören wollten.

Hmm. Wir waren vermutlich schon am Nachmittag eingetroffen und am Abend bereits von den ganzen Gutmenschen genervt. Ich erinnere mich, dass uns während des Konzertes jemand sagte: Noch einen Song, dann ist Schluss. Also spielten wir den Song, John Lennons „Gimme Some Truth“, ewig, hörten gar nicht mehr auf. Aber alles andere ist für mich nur noch weißes Rauschen. Es war ein Gig wie jeder andere.

Wieso steht es Rockstars eigentlich so gut, wenn sie auf Messers Schneide leben?

Komische Frage. Früher haben nur Musiker wie ich Kokain genommen. Da war die Droge Underground, sie war ein Statement. Von mir aus hatte der Konsum daher etwas Glamouröses. Aber heute ist Kokain keine Undergroundkultur mehr, sondern ein Mainstream-Phänomen. Das macht mir Angst.

Drogen haben nichts Subversives mehr?

Ich bin ziemlich brav geworden, was das anbetrifft. Ich bin in den Neunzigern einfach Tage und Nächte und Tage und Nächte und Tage lang wach gewesen, bis ich die Zeit nicht mehr unterscheiden konnte. Solche Exzesse feiere ich heute nicht mehr. Ich lebe nicht mehr so, wie ich mal gelebt habe.

Warum? Weil Sie Familienvater geworden sind?

Sie sagen es. Was wäre das für ein Mensch, der drei Tage und Nächte lang wach bleibt und Nasen nimmt, statt sich um seine Kinder zu kümmern?

Oft ist es so, dass Drogenkonsum Züge von Eskapismus trägt. Bei Ihnen war es anders. Sie haben einige der bedeutendsten Platten der Neunziger im Rausch aufgenommen.

Wir hatten lange Phasen, in denen wir unablässig Speed genommen haben. Und daran schlossen immer wieder Phasen an, in denen wir gar kein Speed genommen haben. An die wieder lange Phasen anschlossen, in denen wir ständig Speed nahmen. Da kann man auf absonderliche Ideen kommen. Gut, wenn man dann ein Ventil wie die Musik hat, in der man diese Ideen dann umsetzen kann.

Sie sprechen von Alben wie „Vanishing Point“?

Genau. Da hatten wir eines Tages die Idee, alles müsse nur noch Rhythmus sein. Keine echten Melodien mehr, keine Songstrukturen. Ich stand stundenlang in der Sängerkabine und habe vor mich hingeflüstert: „Vanishing point. Vanishing point. Vanishing point. Soul on ice. Soul on ice“. Alles wurde zu Rhythmus. Für den Track „Kowalski“ benutzten wir eine Schlagzeugspur von Jaki Liebezeit, dem Can-Drummer.

Und?

Wir trafen ihn wenig später in London. Er meinte, „Kowalski“ sei der mit Abstand beste Track. Da musste ich grinsen. Mit Speed kommt man manchmal einfach auf Ideen, auf die man unter normalen Umständen nie kommen würde. Allerdings kann zu viel Speed auch dazu führen, dass man völlig blockiert ist. Dann geht gar nichts mehr.

Deshalb die Phasen ohne Speed?

Genau, man rappelt sich ja doch immer wieder erstaunlich schnell auf. Ich kenne Typen, die nehmen das Zeug seit über 30 Jahren. Mit denen kann man gar nicht mehr vernünftig reden.