EIN WILDER HUND
: Der bosnische Barak

VON ERICH RATHFELDER

Er ist klein, aber nicht zu klein, rötlich, wie ein Fuchs, mit weißen Flecken auf Kopf und Schwanz, sprunggewaltig. Kurz, ein bosnischer Barak – eine der ältesten Hunderassen auf dem Balkan – der schon im Mittelalter mit seinem Ritter in den bosnischen Bergen auf Jagd gewesen ist.

Auf der Jagd war er jetzt auch. Denn er gehörte zu den wilden Hunden, die sich in Rudeln organisiert hundert- oder tausendfach in Sarajevo und Umgebung herumtreiben. Tierheime gibt es nicht, bisher wurden sie aber markiert, kastriert und dann wieder freigelassen. Nach einem Gesetz vom Dezember letzten Jahres sollen die wilden Hunde jetzt getötet werden.

Vor einem halben Jahr wussten wir das noch nicht. Schuld daran, dass ich trotzdem wieder auf einen Hund gekommen bin, ist Isabella Kurkowski. Bei einem Spaziergang entlang des Miljacka-Flusses traf ich die Medienberaterin und Tierverrückte zwischen den riesigen Körpern ihrer ehemals wilden Hunde. Hinter ihr trabte das rote Kerlchen, verschmutzt, abgemagert bis auf die Knochen. Halbtot. Nicht markiert. Nicht kastriert. „Willst du den nicht nehmen? Der ist doch sooo süß.“ Nach ihrem flehenden Blick gab es kein Entrinnen mehr. Er wehrte sich nicht. Kurzerhand ins Auto mit ihm. Und ab zum Tierarzt. Entwurmen, Antibiotika, Antiflohmittel, zu Hause in einem Zuber waschen und was leichtes zu Fressen. Nach drei Wochen hatte er schon zwei Kilo zugelegt. „Der ist klug, aber schwer zu zähmen, der ist sehr mutig“, sagte Bernd aus München mit Kennerblick. „Jeder Hund hat seine Geschichte, die seinen Charakter formt. Wenn du ihn wirklich kennenlernst, hast du einen tollen Hund.“

Wie aber häutet man diese Zwiebel? Immerhin, der vielleicht Zweijährige ist stubenrein. Er ist also in einer Wohnung aufgewachsen, mutmaßt meine Freundin Amela. Vielleicht ist sein(e) Besitzer(in) gestorben und die Erben haben ihn einfach auf die Straße gesetzt, fügt sie hinzu. Als der Muezzin zum Freitagsgebet ruft, richtet er sich auf und beginnt mitzujaulen. „Er muss in der Nähe einer Moschee gelebt haben.“

Otto von Hochbosnien, so steht es in seinem neuen Hundepass – wenn schon wild, dann wenigstens adelig – kennt weder Strassen noch Autos, würde ohne Leine in der Stadt nicht überleben. Trockenfutter lehnt er ab. Er liebt Cevapcici und Pita, deren Überreste er am Gehweg entlang des Flusses gefunden haben muss.

„Er ist ein muslimischer Seljak, ein bosniakischer Dörfler“, analysiert Amela. Wenn er Arbeiter mit einer Schaufel oder große Männer in schwarzer Kleidung sieht, beginnt er, wie wild zu bellen. Er wurde also bedroht, verjagt und geschlagen. Auch heute noch knurrt er bedrohlich, wenn er im Schlaf gestört wird. Er ist ängstlich und mutig zugleich. Ich lasse ihn genau dort am Fluss von der Leine, wo er frei gelebt haben muss. Er schnüffelt, er jagt die Böschung hinauf, zeigt mir eine Höhle hinter einer großen Baumwurzel, nähert sich vorsichtig den Häusern des oben liegenden Dorfes mit der Moschee. Dann dreht er um, rennt auf mich zu, will wieder an die Leine. Er kennt das neue Gesetz nicht. Aber ihn drängt es ohnehin zurück in das zwar unfreie, aber geordnete Leben.