Fotohandy ist das neue Pfefferspray

Im US-Weblog „Holla back“ wehren sich Frauen gegen sexuelle Belästigung. Jetzt gibt es auch ein deutsches Pendant. Dort stellen Frauen Fotos der Männer ins Netz, die sie mit ihrem Handy gemacht haben. Für die Persönlichkeitsrechte der Männer interessieren sich die Opfer dabei nicht

VON MICHAEL AUST

In einer Straße in New York am 14. Juli. „Süß!“, sagt der Mann, als er auf dem Bürgersteig hinter Anna herläuft. „Wirklich süüüß!“ Die junge Frau dreht sich um. „Was hast du gesagt?“ „Ich sagte, ich mag deinen Hintern.“ „Sag so was nicht, ich hasse das!“ Anna zückt ihr Fotohandy und drückt ab. Zu Hause überträgt sie das Foto auf ihren Computer und lädt es von dort ins Internet – auf die Seite des Weblogs http://hol labacknyc.blogspot.com. Den Mann mit dem tumben Humor, der Annas Hintern so süß fand, kann von jetzt an jeder auf der Welt sehen und den dazugehörenden Wortwechsel nachlesen. „Holla back“ ist ein virtueller Pranger, an den Frauen all jene Männer stellen können, von denen sie belästigt wurden. Auch in England, Österreich und Deutschland gibt es seit kurzem Pendants zu Holla back.

Die Idee von Holla back, zu Deutsch „Schrei zurück!“, ist der modernen Kunst entlehnt. 1973 zog die Performancekünstlerin Laurie Anderson für ihr Projekt „Fully Automatic Camera“, mit einem Fotoapparat „bewaffnet“, durch die Straßen von New York und fotografierte Männer, die sie belästigten. Durch die Kamera hatte Anderson auf einmal Macht über die Männer, wie man sie auch mit Pfefferspray oder durch einen gezielten Tritt in die Weichteile erlangt. Eine ähnliche Erfahrung machte die New Yorker Studentin Thao Nguyen, die im August des vergangenen Jahres einen Exhibitionisten fotografierte. Als der Mann, der ihr in der U-Bahn gegenübersaß, anfing, ungeniert zu onanieren, griff die 23-Jährige geistesgegenwärtig zu ihrem Fotohandy und drückte ab. Das Bild brachte es später sogar auf das Titelblatt der New Yorker Boulevardzeitung Daily News, der Täter wurde schon kurz danach gefasst.

Typ weg, Scheißgefühl da

Wenig später entstand der Weblog http://hollabacknyc.blog spot.com und erreichte sofort eine hohe Besucherzahl. Auch der deutsche Ableger – http://germany.hollaback.eu – will einen Raum bieten, in dem Frauen in Wort und Bild über sexuelle Belästigung reden können. „Das Konzept ist einfach: Das vermeintliche Objekt der Begierde dreht mithilfe des Fotografierens die Situation um und macht den Täter zum Objekt“, sagt Sabine Roediger. Die Medienstudentin aus Zürich hatte im April von Holla back erfahren, war sofort begeistert und eröffnete Ende Mai das deutschsprachige Pendant. Noch kann man dort keine Fotos von belästigenden Männern angucken, aber was zählt, ist die Botschaft: „Die Seite soll klar machen, dass sich Frauen nicht mehr wie Freiwild behandeln lassen“, sagt Roediger.

Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2004 machen 58 Prozent der Frauen in Deutschland im Laufe ihres Lebens Erfahrung mit sexueller Belästigung. „Das geht von Anstarren über anzügliche Witze bis zu Busengrapschereien, Pokneifen und aufgedrängten Küssen“, sagt Irmgard Kopetzky vom Frauen-Notruf Köln. Die 38-Jährige lernt in ihrem Beruf viele Frauen kennen, die auf offener Straße oder in der U-Bahn belästigt worden sind. „Das sind Situationen, in denen die Frauen meist hilflos zurückbleiben“, sagt Kopetzky. „Der Typ ist weg, man kann nichts machen, aber das Scheißgefühl bleibt tagelang.“ Die erlebte Grenzüberschreitung verfolge die Frauen manchmal bis in die Träume und raube ihnen das Sicherheitsgefühl.

Den „Holla back“-Blog findet Kopetzky dennoch „grenzwertig“. Gewiss spreche er vielen Frauen aus dem Herzen, aber er gehe am Problem vorbei: „Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Phänomen. Es müssen sich Mentalitäten ändern. Da reicht es nicht, die Typen zu fotografieren und ins Internet zu stellen.“ Frauen, die in der Öffentlichkeit sexuell belästigt werden, rät Kopetzky, laut zu werden. „Man muss sich Aufmerksamkeit verschaffen, den Mann zur Rede stellen und bei den Umstehenden Hilfe holen.“ Finde die Belästigung in der U-Bahn statt, sollte man den Fahrer informieren. Über die Kameraaufzeichnung in den Wagen sei der Täter oft dann auch nachträglich noch zu identifizieren.

Sexuelle Gewalt spielt sich aber nur zu einem Drittel im öffentlichen Raum ab. Mehr als 80 Prozent der Frauen kennen den Täter persönlich aus der Familie oder dem Bekanntenkreis. Deshalb sei der Blog nicht wirklich sinnvoll, zumal er einem möglichen Missbrauch Tor und Tür öffne. Schließlich könne man einfach ein Foto seines Exfreunds auf die Seite stellen – und ihn so vor aller Welt bloßstellen.

Enorme Prangerwirkung

So sieht das auch Tanja Dörre, Juristin vom Institut für Medienrecht an der Uni Köln. „Fotos von Tätern zu veröffentlichen ist eindeutig unzulässig, weil es ins Persönlichkeitsrecht der Männer eingreift“, sagt Dörre. „Es geht eine enorme Prangerwirkung von diesen Bildern aus.“ Eine Veröffentlichung ist in Deutschland nur in bestimmten Ausnahmefällen ohne Einwilligung des Abgebildeten möglich, etwa wenn ein flüchtiger Täter durch eine polizeiliche Fahndung zur Person der Zeitgeschichte erklärt wird. Dass Holla back in den USA noch keine juristischen Probleme bekommen hat, erklärt sich Dörre mit den unterschiedlichen Rechtssystemen: „In den USA ist der Privatsphärenschutz viel geringer als hierzulande.“ In Staaten wie Kalifornien werden Fotos und Adresse von Sexualstraftätern ins Internet gestellt. So kann sich jeder Hauskäufer per Mausklick vorab informieren, ob Kinderschänder im Umkreis wohnen.

„Holla back“-Macherin Roediger schrecken diese Einwände nicht ab. „Die Frage: ‚Was passiert, wenn das Foto eines Unschuldigen veröffentlicht wird?‘, ist unter europäischen Journalisten sehr beliebt“, sagt sie, „ich finde es bemerkenswert, dass davon ausgegangen wird, Frauen würden dazu neigen, auf diese Weise an ihrem Exfreund Rache nehmen. Woher kommt diese Annahme? Auch nach mehreren hundert Einsendungen in New York und Europa ist dieser Fall nie eingetreten.“ Im Zweifelsfall würde man die umstrittenen Fotos aber natürlich sofort löschen.