Der neue Boris?

Das deutsche Tennis, seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Suche nach einer männlichen Galionsfigur, hat mal wieder einen neuen Hoffnungsträger. Sein Name: Alexander „Sascha“ Zverev. Der gebürtige Hamburger mit russischen Wurzeln ist 16 Jahre alt, schlägt mit bis zu 200 Stundenkilometern auf, besitzt wuchtige Grundschläge und hat im Januar in Australien sein erstes Grand-Slam-Turnier gewonnen. Mehr noch: Zverev schloss 2013 wie einst sein großes Idol Roger Federer als Nummer eins der Junioren-Weltrangliste ab – und das gegen die zumeist ältere Konkurrenz.

Jetzt will es „das größte Talent seit Boris Becker“ (Die Welt) bei den Männern wissen. Einige unterklassige Herren-Turniere hat der Youngster schon gespielt, für die namhaften German Open am Rothenbaum erhielt der Schlaks von Turnierdirektor Michael Stich sogar eine Wildcard fürs Hauptfeld. Sein Nahziel: ein Platz unter den 150 besten Spielern der Weltrangliste. Sein Traum: „Irgendwann einmal ein Grand-Slam-Turnier bei den Großen zu gewinnen.“

Dafür setzt der Jüngling nach seinem Realschulabschluss alles auf die Karte Tennis und lebt seit Jahren wie ein Profi: Im Winter trainiert er in Florida und Australien, ansonsten reist er im Turnierzirkus das ganze Jahr über um den Globus. Kein Wunder also, dass er am Montag nach seinem Grand-Slam-Triumph mit seinem Vater, der zugleich sein Trainer und Manager ist, wieder auf dem Platz stand. Sein Hamburger Zuhause sieht er nur selten.

Zverevs Familie kennt sich aus im Tenniszirkus. Der Senior, ein ehemaliger sowjetischer Davis-Cup-Spieler, siedelte mit der Familie 1991 von Moskau nach Lemsahl in den Norden Hamburgs. Seine Mutter war ebenfalls Profi, sein zehn Jahre älterer Bruder Mischa steht aktuell auf Weltranglistenplatz 195. Seinen Familienhintergrund sieht Zverev als Vorteil, nicht als Bürde: „Sie haben schon alles erlebt, das ist gut für mich.“

Bleibt die Frage: Gelingt dem Junior-Champion auch der Durchbruch bei den Männern? Viele gehypte Nachwuchshoffnungen – Tennisfans werden sich an Daniel Elsner oder Dirk Dier erinnern – scheiterten im Profigeschäft. Zverev will zunächst ein paar ATP-Turniere spielen und dann mal schauen. Davis-Cup-Teamchef Carsten Arriens traut dem Teenager eine Bilderbuchkarriere zu. „Von der Mentalität her ist er ein Sieger. Der Sieg in Melbourne war ein würdiger Abschluss seiner Jugendzeit.“

Zverev sagt selbst, dass er „bei den Großen“ vor einem Neuanfang steht. Aber: so groß sei der Unterschied gar nicht, es mangele ihm nur etwas an Erfahrung.  MIKE LIEM