Kubaner dürfen jetzt auch ausbeuten

REFORMPROGRAMM Staatschef Raúl Castro kündigt weitere Wirtschaftsreformen und Entlassungen im Staats- sektor an. Die Freilassung der 52 Dissidenten hält er für eine großzügige Geste einer starken Revolution

BERLIN taz | Die private Wirtschaft in Kuba soll ausgeweitet werden, inklusive der Möglichkeit, andere für sich arbeiten zu lassen. Dies kündigte Staatschef Raúl Castro am Sonntagabend bei einer Sitzung der Volkskammer an. Eigentlich dürfen Unternehmer auf eigene Rechnung niemand anstellen, da dies nach reiner kubanischer Lehre Ausbeutung ist. Castro kündigte gleichzeitig weitere Entlassungen im Staatssektor an, in dem 95 Prozent der wirtschaftlich aktiven Kubaner beschäftigt sind. Rund eine Million dieser Arbeiter jedoch hat am Arbeitsplatz nichts zu tun. Diese unproduktiven Staatsangestellten sollen nun schrittweise entlassen werden und Castro hofft, dass sie von der privaten Wirtschaft aufgefangen werden. Erst jüngst hatte er mehr Lizenzen für Privattaxis austeilen lassen und die staatlichen Friseursalons privatisiert.

Mit einem Schwenk hin zu kapitalistischen Verhältnissen habe das nichts zu tun, versicherte Castro. Sein Wirtschafts- und Planungsminister Marino Murillo stellte klar: „Man kann nicht von Reformen sprechen; wir denken über eine Anpassung unseres Wirtschaftsmodells nach.“ Und in dem spiele trotz des drohenden Staatsbankrotts zentrale Planung weiterhin eine entscheidende Rolle.

Zum ersten Mal ging Castro bei seiner Rede auf die Freilassung von 52 Dissidenten ein, die mit Spanien und der katholischen Kirche ausgehandelt worden war. Es gebe auch in Zukunft „keine Straffreiheit für Feinde des Vaterlands“, stellt der Staatschef klar. Von den 52 zum Teil schon freigekommenen politischen Gefangenen sei „keiner für seine Gedanken verurteilt“ worden. Alle hätten sie „nachweislich im Dienst der USA und ihrer Politik der Blockade und Subversion“ gestanden. Dass sie trotzdem vorzeitig aus der Haft entlassen werden, begründete Castro so: „Die Revolution kann großzügig sein, weil sie stark ist.“

Raúl Castros älterer Bruder Fidel, der vor drei Wochen aus vierjähriger Rekonvaleszenz nach einer Darmoperation aufgetaucht und seither fast täglich öffentlich aufgetreten ist, nahm an der Sitzung der Volkskammer nicht teil. TONI KEPPELER