Ende der Selbstbedienung

MEDIZIN Die Zahl von Herzklappen-Implantationen mittels Katheter nahm seit 2008 explosionsartig zu. Den Ärzten winkten hohe Vergütungen. Der OP-Inflation soll nun ein Riegel vorgeschoben werden

BERLIN taz | In keinem anderen OECD-Land werden so viele Aortenklappen ersetzt wie in Deutschland: 21.084 Patienten unterzogen sich im Jahr 2012 einem solchen Eingriff an der Herzklappe zwischen Herz und Hauptschlagader. Das entspricht mehr als einer Verdopplung der Fälle innerhalb von zehn Jahren. Die Streitfrage unter Wissenschaftlern, ob alle diese Operationen medizinisch notwendig sind und welche Ärzte die Klappen mit welcher Methode in welchen Kliniken austauschen dürfen, wird jetzt zum Politikum: Sie hat den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) erreicht, das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

Der GBA berate derzeit eine Richtlinie zu den Aortenklappen, sagte Regina Klakow-Franck, als unparteiisches GBA-Mitglied zuständig für Qualitätssicherung. Richtlinien des GBA haben gesetzesähnlichen Charakter, etwaige Verstöße durch Ärzte werden geahndet. Beendet werden soll so der Streit zwischen Herzchirurgen und Kardiologen um zwei miteinander konkurrierende Verfahren zum Klappenersatz, die bislang nur per europäischer medizinischer Leitlinie geregelt waren – mit rein empfehlendem Charakter.

Danach sollen verengte Aortenklappen im Regelfall konventionell von einem Herzchirurgen per Operation am offenen Herzen ausgetauscht werden. Bei älteren Patienten, die die OP nicht mehr überstehen würden, kann der Austausch aber auch kathetergestützt erfolgen, etwa über die Leistenarterie. Dieses innovative, als schonender geltende, wegen seiner geringeren Ergebnisqualität und höheren Sterblichkeitsrate nach dem Eingriff aber umstrittene Verfahren heißt Transkatheter-Aortenklappen-Implantation, kurz Tavi.

Es wird von den Kassen mit bis zu 37.400 Euro etwa doppelt so hoch vergütet wie herkömmliche Operationen, darf auch von Kardiologen durchgeführt werden und verzeichnet seit 2008 einen explosionsartigen Anstieg, der nun den GBA auf den Plan ruft: Tavis machen inzwischen etwa die Hälfte aller Ersatzklappen aus. Laut Leitlinie darf die Tavi nur an Kliniken durchgeführt werden, die über eine voll ausgestattete Herzchirurgie verfügen. So soll etwaigen Komplikationen während des Eingriffs begegnet werden können. Allerdings gibt es weit mehr kardiologische Kliniken (800) als herzchirurgische Kliniken (79) in Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hatte zuletzt gedroht, sich nicht länger an die Vorgaben der Leitlinie zu halten, sondern Tavis künftig auch in Kliniken ohne volle Herzchirurgie einzusetzen.

Das will die GBA-Richtlinie nun offenbar unterbinden: Im Zentrum, so Klakow-Franck, werde „die korrekte Indikationsstellung“ für Tavis stehen. Diese dürfe nur von einem interdisziplinären Herzteam getroffen werden – also von Herzchirurgen und Kardiologen gemeinsam. Daneben werde die Richtlinie „verbindlich festlegen“, welche Kliniken die Tavis einbauen dürfen. Denn, so Klakow-Franck: „Die im Hintergrund tobenden Verteilungskämpfe zwischen Herzchirurgen und Kardiologen werden allmählich unappetitlich.“ HEIKE HAARHOFF