Zwangsräumung verhindern

Große Blockade-Aktionen sind spektakulär. Aber es geht auch etwas leiser – die Mietenbewegung im täglichen Kampf mit Gerichten, Behörden und Hausbesitzern

Protest gegen Zwangsräumung und Vertreibung, mit Musik, Theater, Redebeiträgen und Berichten von betroffenen MieterInnen.

■ Samstag, 8. Februar, um 14 Uhr, Reichenberger Straße 72a/73

■ Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern!“ im Netz: zwangsraeumungverhindern. blogsport.de

Wie verhindert man eigentlich eine Zwangsräumung? In diesem doch recht speziellen Fachgebiet hat das Berliner Bündnis „Zwangsräumung verhindern!“ inzwischen viel Erfahrung gesammelt. Bekannt wurde das Bündnis vor einem Jahr. Etwa 1.000 Menschen protestierten in Kreuzberg gegen die angekündigte Räumung der Kreuzberger Familie Gülbol. Anwohner und Aktivisten versuchten mit Sitzblockaden Polizei und Gerichtsvollzieherin von der Wohnung fernzuhalten. Eine erfolgreiche Aktion, zumindest medial. Das Thema schlug bundesweit hohe Wellen. Verhindert werden konnte die Zwangsräumung so aber nicht. Bis zum Herbst 2013 folgten noch zwei weitere Blockade-Aktionen, dann wurde es ruhig um das Bündnis. Aber der Eindruck täuscht.

„Wir sind einfach zu erfolgreich im Verhindern von Zwangsräumungen geworden“, sagt David Schuster, der sich im Bündnis engagiert. Oberste Priorität sei es, die Zwangsräumung abzuwenden, und das am besten bevor sich der Gerichtsvollzieher in Bewegung setzen kann. Entsprechend fängt das Engagement der AktivistInnen schon bei den Gerichtsprozessen an. Das Bündnis achtet auf eine gute anwaltliche Vertretung und empfiehlt Rechtsanwälte.

Kommt es wegen einer Wohnungskündigung oder einer Räumungsaufforderung zur Verhandlung, dann begleiten die AktivistInnen den Prozess auch direkt im Gerichtssaal. Damit haben sie gute Erfahrung gemacht. Eine direkte Einflussnahme auf die Rechtsprechung könne es natürlich nicht geben, heißt es dazu etwas süffisant. Aber die AktivistInnen haben doch das Gefühl, dass ihre Anwesenheit im Gerichtssaal hilfreich ist – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch im Hinblick auf das Urteil. „Eine kritische Öffentlichkeit kann ja nicht schaden“, findet David. Auch zu Vermietern und Wohnungsbaugesellschaften sucht das Bündnis den direkten Kontakt. Mit Erfolg. „Oft lassen sich auf dem Verhandlungsweg Lösungen finden“, weiß David zu berichten. Sie reden dann mit Vermietern oder den zuständigen Sozialstadträten und suchen nach Lösungen. Inwieweit die Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses oder die Aussicht auf (drohende) Blockade-Aktionen die Verhandlungsbasis des Bündnisses stärkt, darüber darf spekuliert werden.

Nicht alle Hausbesuche des Bündnisses zielen auf Verhandlungen. Go-in-Aktionen und Kundgebungen gehören auch zum Repertoire. Das kommt nicht immer bei allen gut an. Nach einem unangemeldeten Besuch bei mehreren Wohnungsgesellschaften drohten diese mit Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Mitarbeiter der Wohnungsunternehmen in einer solchen Form bedrängt werden, beschwerte sich der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) in der Berliner Zeitung. Im Bündnis ist man der Meinung, dass eine Zwangsräumung ein gewalttätiger Akt ist und kein normaler Verwaltungsvorgang. „Dies versuchen wir den Verantwortlichen auch so zu kommunizieren“, sagt David. Dass diese Erkenntnis nicht bei allen gut ankommt und auch nicht von allen geteilt wird, machtzunächst eines deutlich: Das Thema hat viel soziale Sprengkraft.

Wie viele Zwangsräumungen es in Berlin gibt, weiß niemand. Eine Statistik darüber wird nicht geführt, wie die zuständige Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz auf Anfrage der taz mitteilte. Eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Andreas Otto (Grüne) brachte 2012 zumindest etwas Licht ins Dunkel. Im Jahr 2009 gab es demnach rund 9.000 Räumungsklagen. Ein Jahr später waren es 10.000. Berücksichtigt sind hier aber lediglich Fälle, in denen die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs des Mieters erfolgte. Nicht fristgerecht beglichene Mietzahlungen sind der Hauptgrund, weswegen es zu einer Zwangsräumung kommen kann. Besonders prekär sind Fälle, in denen das Ausbleiben staatlicher Leistungen im Rahmen des ALG II zur Wohnungskündigung führt.

Bisher haben sich rund 40 Betroffene beim Bündnis „Zwangsräumungen verhindern!“ gemeldet. Nicht einmal die Spitze des Eisbergs. JÖRN ALEXANDER