Auf Kurzurlaub von Liga zwei

Die Fußball-Bundesliga vor dem Start (1): Bei Energie Cottbus sind erstaunliche Sanierungsleistungen gelungen. Dank Trainer Petrik Sander. Trotzdem wird der Aufsteiger nur gegen den sofortigen Wiederabstieg kämpfen. Sieben Antworten auf sieben Fragen aus der Lausitz

Was bleibt von der WM? Der FC Energie hatte mit der Weltmeisterschaft etwa so viel zu tun wie mit der Champions League – nichts. Der einzige Cottbuser, der am Turnier teilnahm, war Gregg Berhalter. Der US-Amerikaner wechselte inzwischen den Verein. Er suchte eine neue Herausforderung – in der zweiten Liga, bei 1860 München. Ansonsten erging es den Cottbusern wie Milliarden Menschen: Sie verfolgten die WM vor dem Fernseher. Nun ja, Trainer Petrik Sander durfte sechs Spiele live verfolgen. Die Erkenntnisse für den rustikalen Abstiegskampf dürften von begrenztem Wert sein.

Wer sind die Stars? In der Lausitz sind so viele Fußballstars zu finden wie milliardenschwere Ölquellen: keine. „Wir sind eine Familie, mit unserem Teamgeist gleichen wir fehlende Qualität aus“, sagt Tomislav Piplica. Mit dem schrägen Torhüter, der seit acht Jahren für Energie spielt, können zumindest auch Menschen außerhalb Brandenburgs etwas anfangen. Ansonsten beherbergt Cottbus ein Team der Unbekannten. Etwas anderes bleibt dem Klub nicht übrig. Der Etat liegt bei 19,5 Millionen Euro, er ist der kleinste der Liga. Zudem drücken den Klub noch immer 4,5 Millionen Euro Schulden. Deshalb will Energie seine Stärke aus dem Mannschaftsgeist beziehen. „Ich würde auch gern mit Spielern wie Zidane oder Ronaldinho spielen“, sagt Petrik Sander, „aber dann müssten wir mit Millionen um uns werfen. Und die haben wir nicht.“ Sander, der König der Schnäppchenjäger, vertraute abermals seinem Gespür für verkannte Talente. Richtig lag er nicht immer – aber oft.

Was macht der Trainer? Momentan muss Sander sehr viel lernen. In Köln erwirbt er seinen Fußballlehrerschein. Er muss bis Dezember pendeln. Sander trainiert Energie seit November 2004, seit der Entlassung von Eduard Geyer. Gerechnet hatte der ehemalige Stürmer, Scout und Assistenzcoach mit seiner Beförderung nie. Sander, 45, hatte für das Showgeschäft so viel übrig wie für Darmspiegelungen. „Ich will niemals Trainer werden“, sagte er einmal. Er suchte früh Alternativen, in den Achtzigerjahren eröffnete er den Jasa-Club, die Arbeit hinter der Theke machte ihn nicht glücklich. Später ließ sich Sander zum Versicherungskaufmann ausbilden. Heute zählt das alles nichts mehr: Sander hat aus einem abstiegsbedrohten Zweitligisten einen selbstbewussten Erstligisten geformt. Seine Sanierungsarbeiten in der einstigen Chaosgemeinschaft sind bemerkenswert. In der Öffentlichkeit tritt Sander bisweilen aber noch zurückhaltend auf.

Wie sieht die Taktik aus? Stürmischen Offensivfußball, elegantes Kurzpassspiel, halsbrecherische Torraumszenen – das alles kann man von Cottbus nicht erwarten. „Wer von uns Schönheit verlangt, hat keine Ahnung“, sagt Sander. „Wir haben das Unmögliche in der vergangenen Saison mit anderen Mitteln geschafft.“ Gemeint sind Kampfkraft und bedingungslose Hingabe. Vor allem in den Heimspielen will der FC Energie seine Gegner wie eine archaische Lokomotive niederwalzen, ohne Schnörkel und Kunststücke. Ob das immer funktionieren wird, ist fraglich. Schon in zweiten Liga waren die Lausitzer des Öfteren beim Spielaufbau überfordert. Aussichtslos ist die Lage allerdings nicht. Das haben ähnlich veranlagte Mannschaften in der Vergangenheit zur Genüge gezeigt.

Sind die Fans glücklich? Dass Cottbus nach dem Abstieg vor drei Jahren noch einmal das Licht der ersten Liga erblicken darf, daran haben nicht viele Fans geglaubt. Denn noch vor etwas mehr als einem Jahr stand Energie vor der Insolvenz. Den Aufstieg gegen 1860 München feierten die Fans wie eine Meisterschaft. Ein rot-weißes Menschenmeer flutete das Spielfeld. Rasenstücke, Werbebanden und Tornetze wurden glücklich nach Hause getragen. Die Cottbuser sehen sich nun als letzte Bastion des ostdeutschen Fußballs. Viele betrachten diese Saison allerdings als einjährigen Urlaub von der zweiten Liga. Trainer Sander sieht das anders.

Die Prognose: Platz 16. Denn: Für Energie geht es um nichts anderes als den Klassenerhalt. Sollten die Cottbuser ähnlich geschlossen auftreten wie zuletzt, ist dieser möglich. Allerdings dürfte das Team lange Sperren oder Verletzungen kaum kompensieren können. Vieles hängt von der Offensive ab. Energie erzielte in der vergangenen Saison 49 Tore, mit der gleichen Anzahl stieg Köln aus der ersten Liga ab. Ob die Zugänge Marco Küntzel oder der Chinese Jiayi Shao das ändern können?

Der X-Faktor: Eigentlich steht hinter dem ganzen Team ein einziges großes Fragezeichen. Stellvertretend dafür steht besonders Kevin McKenna. Der Kapitän der kanadischen Nationalmannschaft spielte in der vergangenen Saison wechselweise in der Innenverteidigung und im Sturm. Damit führte Trainer Sander seine Gegner oftmals in die Irre. „Ich fühle mich überall wohl“, sagt McKenna. Besonders in der ersten Liga. RONNY BLASCHKE