ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Der Sommer der Liebe (II)

Nun ist aber wirklich langsam gut mit der Hitze

Raus, raus, raus – nur raus aus der Stadt. Hinter Berlin beginnt der Schatten, denn dort gibt es Bäume. Nicht überall, aber doch überall entlang den Straßen. Wir fahren mit offenem Fenster, offenem Verdeck, offenem Hemd und offener Bluse durch die herrlichen Brandenburger Alleen – je schneller, desto mehr Fahrtwind.

Obwohl wir wirklich rasen, überholt uns noch die Landjugend. Wussten Sie, dass in den alleenreichen Bundesländern drei Mal so viel Jugendliche den Unfalltod sterben wie in den Ländern, wo der aufgemotzte Golf im Graben landet statt am Baum? Nach der Wende kam daher die politische Forderung nach der Abholzung. Heute kommt im Autoradio die Nachricht, das Brandenburger Innenministerium dränge auf ein bundesweites Alkoholverbot für Fahranfänger. Das nenn ich Fortschritt.

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Bevor es mit dem Saufverbot klappt, kommt allerdings das Rauchverbot. Soweit ich das überblicke, ist ein fraktionsübergreifender Antrag auf Verbannung von Zigaretten aus allen öffentlichen Räumen das einzige politische Projekt, das in diesem Sommer ein Erfolg zu werden verspricht. Auch eine überwältigende Mehrheit der Deutschen ist laut Umfragen für ein Verbot. Spätestens das müsste einen skeptisch machen.

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Die allerletzten Verteidiger der Freiheit sitzen übrigens (außer in den klimatisierten Büros der Zigarettenlobby im Regierungsviertel) in der heißen Frankfurter Redaktion der Satirezeitschrift Titanic. Die schreiben auf die Rückseite ihres aktuellen Hefts:

„Als sie die Zigaretten-Reklame untersagten, habe ich geschwiegen; denn ich war ja kein Raucher.

Als sie die Alkohol-Werbung unter Strafe stellten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Alkoholiker.

Als ich an der Reihe war, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Pastor Martin Niemöller“

Muss verdammt heiß gewesen sein in Frankfurt.

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Am Wochenende waren wir auf einer Hochzeit in einem Schloss eingeladen. Schon wieder! Das ist der neue Trend in Ostdeutschland. Zwar heiratet hier kaum noch jemand, weil es

1. an religiöser Bindung und

2. an jungen Frauen mangelt,

aber wenn, dann feudal!

Viele enteignete herrschaftliche Gutshöfe sind mittlerweile saniert und werden als Hotel betrieben. Das Standesamt hat darin eine kleine Dependance und das Brautpaar heiratet unter einem Baldachin im Schlossgarten.

Ambientemäßig können die kleinen Schlösser den Verlust der kirchlichen Umgebung ein wenig kompensieren. Aber selbst meine agnostische Freundin gibt zu: Sich die Ehe „vor Gott und den Menschen“ zu versprechen ist doch romantischer als vor „mir als Verwaltungsangestellte des Verwaltungsbezirks Kläden-Bismark“.

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Der Bräutigam war übrigens Ire. Seine Verwandtschaft staunt über den Schlosspark und über die Hitze. Mit den Ossis verstehen sie sich hervorragend. Wahrscheinlich teilen sie die Erfahrung, unter einer Kolonialmacht zu leiden. Die Iren kompensieren das damit, dass sie den ganzen Abend erzählen, wie schlecht die englische Fußballnationalmannschaft bei der WM gespielt hat. Die Ossis bestellen beim DJ Ostrock – aber nur ganz kurz.

Draußen ist jetzt 38 Grad. Und drinnen 39,7.

Der Junge hat Fieber. Der Kinderarzt ist im Urlaub. Sein Vertreter hat zu, weil Mittwoch ist. Eine Freundin empfiehlt uns einen weiteren Kinderarzt. Bei dem sind alle Termine für diesen Tag voll. Er gibt uns die Nummer seines Vertreters. Der Vertreter sagt:

– „Bei mir sind auch alle Termine voll.“

– „Egal, ich komm jetzt trotzdem mit meinem Kind“, sagt meine Freundin.

– „Gut“, sagt der Vertreter, „10 Uhr 30.“

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Das Wichtigste bei Babyfieber: Raus aus der Sonne.

Fotohinweis:ROBIN ALEXANDER SCHICKSAL Fragen zur Hitze? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany über GONZO