Universität in Theorie und Praxis

LESUNG Am Samstag wurde in den Räumen des Berliner diaphanes Verlag über Münchener Ideen zur Universität und zu den Studierendenstreiks 2009 diskutiert

Durch Streiks von Studierenden entstehe schließlich kein volkswirtschaftlicher Verlust

Es war schwül-stickig an diesem Samstag in den Räumen des diaphanes Verlags in Berlin. Man entschloss sich, die Tür zu öffnen während der Diskussion über zwei Bücher eines Münchner Studierendenkollektivs, die sich theoretisch mit der Situation der Universität befassen.

Während der Studierendenstreiks 2009 hatte sich diese Gruppe GeisteswissenschaftlerInnen gedacht, dass aus einer gesellschaftswissenschaftlichen oder ästhetiktheoretischen Perspektive doch etwas beizutragen sei zum Protest.

Man zog sich zurück, las in einem autonomen Seminar Texte zur Uni und diskutierte über sie. Der Protest wurde einer Kritik unterzogen. Die Kommunikation per Handzeichen in Plena etwa, entspringt sie nicht einem Effizienzdenken, das ein ökonomischeres Abhandeln der Programmpunkte ermöglichen soll? Eine solche Analyse und die zwei Bücher sind also im Prinzip eine dufte Sache. „Was passiert?“ heißt das eine, in dem die Stellungnahmen und Forderungskataloge der AktivistInnen aus ganz Europa und den USA versammelt sind, die sich gegen die Ökonomisierung der Uni richten. Auch gut brauchbar ist das zweite mit dem Titel „Was ist Universität?“, in dem zusammengetragen wurde, was sich etwa Humboldt, Derrida oder Rancière unter einer akademischen Lehranstalt so vorstellen.

An dem schwül-stickigen Samstag saßen neben dem zwölfköpfigen Kollektiv noch der Berliner Germanist Joseph Vogl und der Münchner Germanist Marcus Coelen im Verlagsgebäude von diaphanes und redeten über Universität. Große Fragen wie etwa die der Dichotomie von Theorie und Praxis hatte man schnell beantwortet. Dass man hier als Geisteswissenschaftler den Unterschied negiere, habe einen Grund: Sprache sei schließlich nicht einfach quatschen, sondern unterliege Diskursregularien, die es zu kritisieren gelte, betonte Marcus Coelen und schob dankenswerterweise einen Lektüretipp hinterher: „Michel Foucault: ‚Ordnung des Diskurses‘.“

Aha, notiert. Joseph Vogl freute sich derweil darüber, dass die Universität durch das Münchner Projekt zu einem „Gegenstand der intellektuellen Praxis“ werde, und erkannte nebenbei auch hier Duisburger Verhältnisse: Der „Neoliberalbürokratische Komplex“ sorge für eine unsinnige Arbeitseinteilung, unter der selbst die ProfessorInnen zu leiden hätten. Dann las er ein Workload-Papier für Lehrkräfte vor. Jedenfalls habe man sich nun geeinigt, dass alle unter Bologna leiden – und keiner sei wirklich dafür verantwortlich.

Vom HerausgeberInnenkollektiv hörte man selten etwas. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Institution Universität sei „irrsinnig produktiv“ gewesen. Man habe, so erklärt einer, die „klassische Politisierung“ durchgemacht, aber erkannt, dass die Frage „Gegen wen sind wir?“ nicht so einfach zu beantworten sei. Auch der Fratze der eigenen Ohnmacht sei man begegnet. Selbst die Wirkung der Studierendenstreiks sei ja verpufft.

Durch Streiks von Studierenden entstehe schließlich kein volkswirtschaftlicher Verlust. Schöne komplexe Welt. Man wüsste gern, wie denn so eine „klassische Politisierung“ aussieht, in der man sich weder über die Rolle des Staates in der ganzen Geschichte noch über Organisationsformen und Bündnisse mit anderen uninahen Betrieben – und seien es unterbezahlte Putzkolonnen – Gedanken macht. Stattdessen ist man drauf und dran, eine kleine akademische Elite zu reproduzieren – bitte unbehelligt von wirtschaftlichen Zwängen.

Man wolle übrigens, so sagte ein anderer, keine „Massenuniversität“. Vielleicht fiel deshalb kein einziges Mal an diesem Abend das Wort „Studiengebühren“. An diesem schwül-stickigen Tag im diaphanes Verlag blieb die Tür übrigens nicht lange geöffnet. Etwa hundert Meter entfernt skandierten die TeilnehmerInnen einer kleinen Demonstration ihre Parolen. Das störte.

PHILIPP GOLL